15.11.1996

Die Gesellschaft gestaltet den Frieden in Nordmali

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Die Gesellschaft gestaltet den Frieden in Nordmali

EIN weiteres Kontingent von 1500 ehemaligen Kämpfern der Tuareg wurde im vergangenen Monat den regulären Streitkräften Malis eingegliedert. Nachdem am 27. März 1996 die bewaffneten Widerstandsgruppen aufgelöst wurden, hängt der Wiederaufbau des nördlichen Mali nun entscheidend davon ab, ob die „Zivilgesellschaft“ fähig ist, eine friedliche Atmosphäre zu schaffen, ob die Eingliederung der Kämpfer in die Armee gelingt und ob bevölkerungsnahe Projekte die Wirtschaftsentwicklung wieder in Gang bringen können.

Von unserem Korrespondenten ROBIN EDWARD POULTON *

In Gegenwart von Malis Präsident Alpha Oumar Konaré und dem Regierungschef von Ghana, Jerry Rawlings, der auch den Vorsitz in der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Ecowas) innehat, haben am 27. März 1996 in Timbuktu die Kampfverbände der Tuareg aus dem Norden von Mali feierlich ihre Waffen verbrannt.

Bevor es dazu kam, waren in jeder Ortschaft Dutzende von Versammlungen durchgeführt worden. Als Verhandlungsort wählte man die Wochenmärkte, auf denen seit Jahrhunderten die Hirten und Bauern der Umgebung zusammenkommen. Für die Verpflegung und die Transportmittel hatten einige regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) gesorgt.

Durch eine sorgsame „Öffentlichkeitsarbeit“ war es gelungen, die Stammesführer und religiösen Oberhäupter mit den Verbänden und Mitgliedern der bewaffneten Gruppierungen an einen Tisch zu bringen. Um Feindseligkeiten zu vermeiden, hatte sich jedes Zusammentreffen an eine genau festgelegte Tagesordnung zu halten, ein Protokoll wurde abgefaßt und unterschrieben. Die Gemeinschaften konnten Vereinbarungen über so heikle Fragen treffen wie die Rückkehr der Flüchtlinge, die Wiederaufnahme des einen oder anderen Kämpfers in seine Dorfgemeinschaft und das Tragen oder das Ablegen von Waffen. Es war also die „Zivilgesellschaft“, die dem Frieden den Weg gebahnt hat.

Nach der in Mali üblichen Definition besteht diese aus einfachen Bürgern, die sich für ein gemeinsames Interesse zusammenschließen, das nicht der Zugang zur Macht sein darf. Die Verwaltung, die Streitkräfte, die Regierung und die politischen Parteien sind also davon ausgeschlossen. Dagegen gehören Vereinigungen (einschließlich der NGOs), Genossenschaften und Genossenschaftsbanken ebenso dazu wie wirtschaftliche Interessenverbände, Gewerkschaften und Berufsverbände.

Die meiste Sorge bereitet in Mali die Eingliederung der Kämpfer in die regulären Armeeverbände. Bereits 1992, nach der Unterzeichnung der nationalen Übereinkunft durch den Chef der damaligen Übergangsregierung, General Amadou Toumani Touré, war ein erster Versuch unternommen worden, der jedoch scheiterte. Wie soll man die Armeeangehörigen dazu bewegen, ehemalige „Rebellen“ in ihren Reihen aufzunehmen, von denen etliche lieber arabisch als französisch (die offizielle Landessprache) sprechen? Wie ist zu gewährleisten, daß sich die aus dem Tschad oder dem Libanon zurückgekehrten Kämpfer der militärischen Disziplin unterwerfen?1 Und welche Rolle ließe sich dieser neuen Armee in einem Land übertragen, in dem die Erinnerung an das dreiundzwanzig Jahre währende Militärregime von General Moussa Traoré noch schmerzlich wach ist? Einige internationale Experten haben den Vorschlag gemacht, auf Kosten der Vereinten Nationen Spezialeinheiten zur Friedenssicherung aufzustellen. Ihre Ausbildung und Ausrüstung könnte mit einem Vertrag über ein „Ausbildungs-Leasing“ vorfinanziert werden.

Die größte Herausforderung jedoch bleibt es, die Entwicklung im Norden wieder in Gang zu bringen. 1990 hatten sich die Tuareg gegen die Militärdiktatur erhoben, die für die Unterschlagung einiger tausend Tonnen Lebensmittel verantwortlich gewesen war – diese Vorräte hätten während der jahrelangen Trockenheit das Leben der verhungernden Nomaden retten können. Der 1992 gewählte Präsident Alpha Konaré bemühte sich darum, die Gemüter zu beruhigen und die Entstehung eines ethnischen Konflikts zwischen den „Weißen“ (den berberischen Tuareg) und den „Schwarzen“ (den Songhai und Fulbe, die zur Zeit der Pharaonen aus dem Niltal einwanderten) zu verhindern. Nach Einschätzung von Malis Außenminister Dioncounda Traoré „handelte es sich dabei nie um ein Problem ethnischer Minderheiten. Das Militärregime versuchte lediglich, sich die ethnischen Unterschiede zunutze zu machen, um den legitimen Forderungen aller Volksgruppen des Nordens nach Programmen zur Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlichen Entwicklung nicht nachkommen zu müssen.“

Wer den Schuh anhat, weiß, wo er drückt

MEHR noch als am Geld fehlt es an den Weichenstellungen für eine sinnvolle Entwicklung. „Die angeblich fest versprochenen 200 Milliarden CFA- Franc [ca. 67 Millionen Mark] nützen gar nichts, wenn sie in so nutzlose Großprojekte wie das Kreiskrankenhaus in Timbuktu gesteckt werden“, äußert ein hoher Beamter der Stadt. „Selbst die Franzosen von der zuständigen Baufirma geben zu, daß sie dieses Gebäude vergeblich errichten: Es gibt keine Patienten, weil es keine Straßen gibt. Kein Kranker würde hundert Kilometer auf einem Esel geritten kommen!“

Der vorgesehene Ausbau des Flughafens von Timbuktu wird dem Norden ebensowenig auf die Beine helfen wie der bei Burem geplante Niger-Staudamm oder große Bewässerungsanlagen wie jene, die Frankreich in Forgo, nahe Gao, finanziert hat und die allgemein im Ruf steht, ein „gezielter Fehlschlag“ zu sein. Es sind allesamt Projekte, die in ausländischen Büros entwickelt, von Banken finanziert und von der Bürokratie im fernen Bamako abgesegnet wurden – was versteht man dort schon vom Leben der Hirten und Bauern?

„Die Beamten haben es nicht verstanden, den Krieg zu beenden, und sie werden auch den Frieden nicht umsetzen können“, meint ein Vertreter der Vereinten Nationen. „Der Frieden ist eine Leistung der Zivilgesellschaft. Sie muß auch den Aufschwung des Nordens bewerkstelligen.“

Es müßte also diese Zivilgesellschaft gestärkt werden, um die sozioökonomischen Mechanismen vor Ort wieder in Bewegung zu setzen.2 Seit 1975 wird von regierungsunabhängigen Organisationen empfohlen, die Verhältnisse im Norden durch die Wiederbelebung der dortigen Genossenschaftsbewegung zu verbessern. Diese Strategie hat ihre Gültigkeit auch nach zwanzig Jahren nicht verloren, denn die allgemeine Unsicherheit macht es unmöglich, die Saatgutbanken, die Getreide- und Saatgutspeicher, die in „Verteidigungszustand“ gesetzten Weideflächen oder die Handwerkskollektive der Frauen aufzusuchen.

Die regierungsunabhängigen Organisationen schlagen Maßnahmen im Umkreis der Wochenmärkte vor. Es geht nicht darum, große Mengen Beton zu verbauen, sondern um eine Vielzahl kleiner Projekte, die es der örtlichen Wirtschaft ermöglichen sollen, wieder Tritt zu fassen. Regelmäßige Versammlungen wurden eingerichtet, zu denen mehr als achtzig Gruppen Vertreter entsenden. Sie kümmern sich um die Versorgung mittelloser Gemeinschaften mit Sorghosaat oder um die Vergabe von Krediten an die weiblichen Familienoberhäupter. Es muß dafür gesorgt werden, daß die örtliche Land- und Viehwirtschaft höherwertige Erzeugnisse produziert und daß vor Ort Einrichtungen zu deren Weiterverarbeitung entstehen.

Modernisierungstheorien haben nicht gegriffen – Grund genug, die von westlichen Universitäten und Organisationen übernommenen Modelle zu überdenken. Wenn etwa ein Bauer finanzielle Angelegenheiten zu regeln hat, wird er sich nicht zurechtfinden in den klotzigen Bürogebäuden voller Formulare, die in einer ihm unverständlichen Sprache abgefaßt sind. Dagegen gehören mehr als 150000 Malier genossenschaftlichen Spar- und Darlehenskassen an, die auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder eingerichtet sind und die Vermittlung zwischen den Bauern und den Banken herstellen. Diese Kassen bringen auf lokaler oder nationaler Ebene beträchtliche Summen auf, die für herkömmliche Banken gar nicht zugänglich wären.

Im Zuge der Wiedereinführung staatlicher Dienste in der Region Timbuktu beschloß man, im Sinne der Versöhnung der Bevölkerungsgruppen, einunddreißig bezirkliche Interimsgremien (Collèges transitoires d'arrondissement, CTA) einzurichten; wie eine Vorlage des Ausschusses für den Norden der Präsidialverwaltung von Mali bestätigt, sollen sie „der alleinige Ansprechpartner für die an der Entwicklung Beteiligten sein, um den Wünschen aller Bevölkerungsgruppen besser Rechnung zu tragen. Diese (...) treffen nach eigenem Ermessen zusammen, um fünf bis fünfzehn Personen zu bestimmen (nicht zu wählen), die ihr Vertrauen genießen.“ Wie sagt doch das Sprichwort: „Wer den Schuh anhat, weiß, wo er drückt.“

dt. Christian Hansen

* Westafrikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Leiter der Abteilung Aktionsforschung an der Université coopérative internationale in Genf.

Fußnoten: 1 Fünf Widerstandsgruppen haben das Abkommen zur Selbstauflösung unterzeichnet: Mouvement populaire de l'Azawad (MPA), Front islamique arabe de l'Azawad (FIAA), Armée révolutionnaire de libération de l'Azawad (ARLA), Front populaire de libération de l'Azawad (FPLA), Mouvement patriotique Ganda Koy (MPGK). Das MPGK wurde von seßhaften Bauern und der Armee angesichts der Plünderungen bewaffneter Gruppen berberisch-arabischer Nomaden ins Leben gerufen. Vgl. Thomas Sotinel, „Ganda Koy, ou la revanche des paysans“, Le Monde, 31. Januar 1996. Zu den Auseinandersetzungen zwischen den Widerstandsgruppen vgl. Philippe Baqué, „Nouvel enlisement des espoirs de paix dans le conflit touareg au Mali“, Le Monde diplomatique, April 1995. 2 Vgl. Alassane ag Mohamed, Cheibane Coulibaly und Gaoussou Drabo, „Nord du Mali, de la tragédie à l'espoir: l'histoire politique de la rébellion, les choix de développement économique et la problématique des réfugiés“ – eine im Juli 1995 von Journalisten aus Mali angestellte Untersuchung im Auftrag der NGOs Acord, Novib und Oxfam (Acord, BP 1969, Mamako, Mali; Acord: Francis House, Francis Street, London SW1).

Le Monde diplomatique vom 15.11.1996, von ROBIN EDWARD POULTON