12.05.2000

Mein Corsa, das bin ich

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Mein Corsa, das bin ich

ZUR „neuen Ökonomie“ gehören stets auch neue Produkte und Werbestrategien, deren allgegenwärtiger Unbeschwertheit nur schwer zu entrinnen ist. Dabei geht es freilich nicht nur um neu zu gewinnende Konsumenten, sondern darum, alles und jeden zur Ware zu machen. Die Presse, die von ihren Anzeigenkunden längst korrumpiert ist, macht bereitwillig den Tambourmajor der fortschreitenden Verdummung: Jedes neue Produkt vernichtet das vorangegangene, und jedes Ereignis verschleiert die Konstruktion unserer Welt mehr, als sie zu erhellen.

Von FRANÇOIS BRUNE *

Die Trägheit der Menschen wird immer wieder beklagt. Wie kommt es, dass sie nicht rebellieren gegen eine Werbung, die sie manipuliert, gegen Unternehmen, die sie ausbeuten, gegen die Arbeitslosigkeit, unter der sie leiden oder die ihnen droht, gegen die Medien, die die Realitäten verfälschen? Warum führt so viel privates Leid nicht öfter zu kollektiven Protesten?

Vor allem doch auch deshalb, weil wir zur Passivität erzogen und dadurch auf allen Ebenen unablässig entwaffnet werden. Vom Kleinkind bis zum fünfzigjährigen Unternehmer sorgen tief verinnerlichte Anpassungsmuster und die Kapitulation angesichts des Status quo für den Fortbestand des Systems.

Der Linguist Alain Bentolila berichtet von einem erstaunlichen Experiment. Vierzig vier- bis fünfjährige Kinder bekamen einen Werbespot gegen das Rauchen vorgeführt. Die Botschaft war so klar wie nur irgend möglich: Ein Jugendlicher bietet einem jungen Mädchen eine Zigarette an, dieses zerdrückt die Zigarette mit den Worten: „Wieder ein bisschen Freiheit gewonnen.“ Auf die Frage: „Was will der Film sagen, warum wird er im Fernsehen gezeigt?“, antworteten achtunddreißig der vierzig Kinder: „Das soll heißen, dass die Zigarette gut ist, dass man rauchen muss.“ In einer so widersinnigen Aussage wird offenbar, dass das Denken der Kinder bereits im Alter von fünf Jahren ideologisch geprägt ist. Für Kinder gibt es keinen Zweifel: 1) Das Ganze ist kurz, wird zwischen zwei Sendungen gezeigt: Es handelt sich also um einen Spot. 2) In dem Spot geht es um das Produkt Zigaretten. 3) Wenn in einem Spot von einem Produkt die Rede ist, dann aus keinem anderen Grund als dem, das Produkt anzupreisen. Also ist es gut, zu rauchen.1

Wenn dieses Schema bereits die Wahrnehmung eines fünfjährigen Kindes prägt, wie verhält es sich dann erst mit der gewaltigen ideologischen Berieselung, die durch ihre Werbespots unablässig alles, was im Fernsehen gezeigt wird, maßlos aufwertet. Längst sind die großen Kaufhäuser und Supermärkte dazu übergegangen, ihre Produkte wenn irgend möglich mit dem zweifelhaften Gütesiegel „Im Fernsehen gesehen“ anzupreisen.

Die in unseren Städten allgegenwärtige Welt des euphorisierenden Konsums drängt sich uns allen als der natürliche Ort gesellschaftlichen Lebens und als wesentliches Mittel zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit innerhalb dieser Gesellschaft auf. Leben, das heißt konsumieren. Eine Marke wählen heißt, sich eine Identität verschaffen, wie diese kleine Blütenlese zeigt: „Meine Creme, das bin ich“, „Mein Corsa, ja, das bin ich“, „In Duvernoy bin ich ganz ich“, „Kick sein oder nichts sein“, „Wenn du nicht Gémo bist, dann wirst du es werden“, nicht zu vergessen der Klassiker des ganz persönlichen Denkens im Sonderangebot für alle: „Sei anders, sei wie Pepsi“.

Und so machten Journalisten bei einer Umfrage folgende erstaunliche Entdeckung: „Was Klamotten angeht, sind die Jugendlichen aus den Vorstädten ganz auf Markenware versessen.“2 Das ist leider nur ein x-beliebiges Beispiel unter den zahllosen Belegen dafür, dass die Beherrschten das herrschende Modell verinnerlicht haben.

Konsumierende Lektüre der Welt

SIND aber die Erwachsenen eher in der Lage, sich dem Mythos des Identität stiftenden Produkts zu entziehen? Man urteile selbst: Im September 1999 startet die französische Handelsgruppe Camif eine landesweite Kampagne mit folgenden aufschlussreichen Slogans: „Ich möchte so einkaufen, wie ich lebe“, „Ich möchte so einkaufen, wie ich bin“, „Ich möchte so einkaufen, wie ich denke“. Wie köstlich doppeldeutig ist doch das kleine Wörtchen „wie“, das Leben, Sein und Denken an Konsumakte bindet! Welch „kommunikative“ Kraft besitzt doch dieses „Ich möchte“, eine Identitätsbehauptung mittels des gekauften Produkts! Identifiziert euch, Kameraden!

Wer immer möchte, kann ein einfaches Experiment machen: Man betrachte eine Viertelstunde lang die Titel und Slogans, die Woche für Woche noch den kleinsten Kiosk überschwemmen. Es ist gar nicht mehr nötig, sie erst geschickt zu entschlüsseln: Die Tyrannei des Konsums tritt ganz offen zutage. Zum Beispiel in der folgenden simplen Devise, die ein großes Kaufhaus im Juni 1999 ausgab: „Das Glück ist eine Addition vieler kleiner Glücksmomente.“ Die kleinen Glücksmomente, das sind eben die kleinen Einkäufe. Die Glückseligkeit beruht somit auf einer Addition. Nur: Liegt das Glück wirklich in einer Summe oder doch in einem Sinn? Eine vertrackte Frage.

Wird aber, so könnte man einwenden, die angepasste Lebensweise nicht dadurch durchkreuzt, dass in unseren häuslichen Mikrokosmos durch die Medien Bilder einer sich rasant wandelnden und uns konfrontierenden Welt eindringen? Keineswegs. Indem das zum Reflex gewordene Konsummodell dafür sorgt, dass wir unsere Gegenwart als ein konsumierbares Spektakel wahrnehmen, macht es uns gegen jegliche Erschütterung immun. Was uns beunruhigen könnte: Kosten wir es aus! Die dominante Ideologie des Konsums beherrscht die Konsumgesellschaft. Und da dem Zuschauer beigebracht wurde, dass die Welt zu konsumieren – und nicht etwa zu verändern – ist, werden die großen Bilder und Spektakel, die er angeboten bekommt, wie Produkte ausgewählt, verpackt und zugeordnet.

Ob es sich um Stars oder Politiker, um Fiktion oder Wirklichkeit handelt, die Medien spielen beim Zuhörer bzw. Zuschauer mit demselben Konsumbedürfnis, das die Werbe-Schaufenster erst geweckt haben. Das Gesetz dieses Bedürfnisses verkündete im Jahre 1990 ein Slogan von RTL: „Nachrichten sind wie Kaffee: heiß und stark müssen sie sein.“ Reklame oder Nachrichten, alles derselbe Kampf, derselbe Ankündigungseffekt, der bald auf die jeweiligen Zeitläufte, bald auf die Ware abzielt, um die kollektive Aufmerksamkeit zu fesseln.3 Der Heißhunger nach Nachrichten muss gestillt werden, meinen die Journalisten, nachdem sie das Bedürfnis erst geschaffen haben. Gewiss, von Zeit zu Zeit bedauern sie, dass zu viel Information die Information töte. Doch angeblich gefällt das dem Publikum. Es braucht seine Dosis, jetzt, da man es mit so viel Aufwand daran gewöhnt hat.

Der Konsumtrieb erfordert zunächst einmal eine Unmenge an Informationen sowie ihre tägliche, ja stündliche Erneuerung innerhalb einer ununterbrochenen Kette zerstückelter und rhythmisierter Sequenzen. Der Rhythmus ist hier von fundamentaler Bedeutung, da er uns in der Illusion wiegt, eng mit einer sich wandelnden Welt verbunden zu sein; doch ist er auch gefährlich, weil er den faszinierten Konsumenten unterjocht, ihn stets der Angst aussetzt, dass ihm das entscheidende Glied der Kette entgehen und er dann die Verbindung zum Zeitgeist verlieren könnte. Wer das Aktuelle verfehlt, lebt an der Realität vorbei. Wenn den lieben langen Tag über nichts passiert, ist das genauso traurig wie ein großer leerer Kühlschrank.

Die Informationsflut, die durch einen hektischen Rhythmus und das „Zapping“ noch verstärkt wird, droht allerdings Monotonie hervorzubringen. Nichts fürchten die Medien bekanntlich mehr, als dass die Konsumenten abschalten. Daher die Großereignisse, die sie – immer wieder aufflackernd – über mehrere Wochen hinweg in Atem halten.

Rufen wir uns ein paar von ihnen in Erinnerung: der Papst in Longchamp, Diana in ihrem letzten Tunnel, der Papon-Prozess, die „Titanic“-Hysterie, die Höhepunkte der Fußballweltmeisterschaft, die Abgründe der Clintonschen Erotik, der Triumph des Euro, hie und da eine Hungersnot oder ein Massaker, ein Spruch von Le Pen, der immer noch für einen Skandal gut ist, ein Finanzskandal, der überhaupt niemanden mehr wundert, die Rettung dank Viagra, die Strafexpedition des sauberen und guten Kosovokriegs, ein Börsenkrach, dem nur ein Flugzeugabsturz gleichkommt, die Dopingfälle auf den Titelseiten, ein (endlich wieder!) konsumfreudiges Frankreich, Erdbeben, Wirbelstürme oder Dürrekatastrophen, die Affäre Tiberi, ein misshandeltes Kind, Michelin, oh Michelin! – doch Platz da für die vierte Folge des „Kriegs der Sterne“. Auf den beiden Säulen Mitleid und Zerstreuung ruht die ganze französische Medienlandschaft.

Was ist also ein Ereignis? In diesem Mischmasch, in dem bedeutende Vorkommnisse als vermischte Meldungen abgehandelt werden und umgekehrt, zählt allein die Inszenierung: Alles ist aufbereitet, um emotional zu berühren, alles wird banalisiert, um analytische Kritik leer laufen zu lassen. Das ist konfektionierter Konsum, aus dem die Öffentlichkeit bzw. das Publikum keinerlei Erkenntnisgewinn zieht. Auf eine affektive Teilnahme reduziert, durch das ereignisorientierte Modell an eine rein konsumierende Lektüre der Welt gewöhnt, warten die Zuschauer nur auf das nächste Drama auf der Bühne unserer Zeit.

Dabei handelt es sich um eine kollektive Erwartung. Die Aufgabe des Ereignisses besteht darin, die Bürger als Publikum (als Publikum, das zuschaut, und nicht als Öffentlichkeit, die sich versammelt, um Entscheidungen zu treffen) zu konstituieren. Die unendliche Faszination, die diese Folge von Ereignissen ausübt, hindert nunmehr nicht nur am Handeln, sondern verhindert auch den Rückzug, der für die Reflexion unabdingbar ist. Schlimmer noch: Indem das mediatisierte Ereignis für das Zugehörigkeitsgefühl zum Kollektiv konstitutiv wird, zwingt es in heimtückischer Weise jeden Bürger – bei Strafe im Falle von zivilem Ungehorsam – dazu, sich dem Ereignis zu unterwerfen (wie etwa während der Weltmeisterschaft gut zu beobachten war). Nun bedeutet aber die Unterwerfung unter das Ereignis immer auch die Unterwerfung unter die Ideologie der Leute, die es als solches auswählen und dramatisieren.

Gewiss, bisweilen wird die Öffentlichkeit bzw. das Publikum befragt: Nachdem man ihm erst den Mund wässrig gemacht hat, darf es seine Meinung äußern. Man vermittelt ihm so die demokratische Illusion, es existiere tatsächlich als öffentliche Meinung. Doch von Interesse ist seine Meinung nur zu dem, was es gezeigt bekommen hat – was ihm vorenthalten worden ist, spielt so oder so keine Rolle. Um die öffentliche Meinung zu beherrschen, braucht man lediglich die Realität zu beherrschen, auf die man sie reagieren lässt, und diese ins Katastrophale verfälschte, dramatisierte, erfundene Wirklichkeit schreckt die Bürger vom Handeln ab: Das Gefühl der Ohnmacht, das ihnen die Darstellung so vieler unabwendbarer Ereignisse einflößt, lässt sie glauben, dass sie auch in den Bereichen, die ihnen ganz nah und vertraut sind und in denen sie durchaus handeln oder Widerstand leisten könnten, überhaupt nichts auszurichten vermögen.

Dieser große ideologische Köder, diese von allen verinnerlichte Systemlogik versetzt bisweilen sogar die Journalisten selbst in Erstaunen, wenn sie sich klarmachen, was aus Ereignissen, die sie selbst befördert oder deren Drehbuch sie selbst geschrieben hatten, am Ende geworden ist. Nehmen wir zum Beispiel die Ankündigung einer Fernsehsendung, die am 21. September 1998 ausgestrahlt wurde und die inzwischen wohl die meisten schon wieder vergessen haben: „Ein vierstündiger Film, der zwar ein wenig statisch wirkt, der jedoch aufgrund der Leistung seines Hauptdarstellers [...] und nun auf allen Kabelkanälen zu sehen [...] das unwiderstehliche Spektakel [...] ein außergewöhnliches Programm [...] eine Videoaufzeichnung, besser als der Untergang der Titanic [...] heute nachmittag um 15 Uhr Pariser Zeit wird die ganze Welt entdecken [...] das größte Medienereignis in den Vereinigten Staaten [...] es wird die meistgesehene Sendung [...] mit den höchsten Einschaltquoten sein.“4

Kann man sich einem derartig marktschreierischen Rummel überhaupt entziehen? Indem sich die gierigen Zuschauer zum Ereignis zuschalten, werden sie es eben dadurch zum Ereignis machen, dass sie es verfolgt haben werden. Und die Journalisten schließen daraus, dass sie Recht hatten, es als solches anzukündigen! So bestimmt das Ereignisraster den Zugang zur Welt. Auf diese Weise erzeugen die Medien beim Publikum die Erwartung von etwas, worauf es eigentlich gar nicht gewartet hatte – ganz so wie die Werbung das Bedürfnis nach Dingen schafft, die im Grunde kein Mensch braucht.

Die Öffentlichkeit spürt sehr wohl, dass sie nicht mehr wirklich das souveräne Volk ist. Zur Kompensation haben sich die offiziellen Verlautbarungen darauf verlegt, die staatsbürgerliche Dimension von allem und jedem zu rühmen. Wie entzückend ist es doch, sich als Mitbürger behandelt zu fühlen, während man ein bloßer Konsument ist! Nur wird die Logik der Produkte, Ereignisse und sonstigen Spektakel auf die neuen Bilder der staatsbürgerlichen Existenz angewendet, die als einziges Verhalten die Anpassung an den Zeitgeist propagieren: an die real existierende Demokratie, an Europa, so wie es derzeit funktioniert, an die globalisierte Wirtschaft.

Fette Beute für die Jäger

ES kommt gar nicht in Frage, etwa an die Freiheit zu appellieren, an den Widerstand oder die kritische Dimension der staatsbürgerlichen Existenz. Der Konsument muss sich dem konsensuellen Schema anschließen oder sich mit solchen Fällen (oder Spektakeln) begnügen, die kein Konfliktpotential mehr besitzen. Besonders gern hat die mediale Bürgerschaft feierliche Gedenken (an die Revolution von 1789 oder die Erklärung der Menschenrechte), sie liebt es, der Vergangenheit den Prozess zu machen (dem Vichy-Frankreich) oder die befreite Zukunft zu feiern (das Dritte Jahrtausend wird den Triumph der – virtuellen – Demokratie erleben!).

Die im medialen Modell verfangene Neostaatsbürgerschaft, die neue Variante von Bürgersinn, ist auf diese Weise nur eine Mode unter anderen, ein Stil, eine Konfektion apolitischer Politik, und verfolgt einzig und allein das Ziel, ereignishafte Spektakel staatsbürgerlicher Existenz zu produzieren und zu konsumieren. Auch die Unternehmen haben diese Mode bekanntlich adaptiert, um sich ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung zu rühmen (sie entlassen ihre Leute heute ja nur, um morgen neue einstellen zu können). Republikanisch gesinnte Volksvertreter haben nichts Besseres zu tun als öffentlich darüber nachzudenken, welcher der aktuellen Stars (Patricia Kaas? Estelle Halliday? Laetitia Casta?) wohl die beste „Marianne“ des Jahres 2000 abgeben würde. Revolutionsnostalgiker überziehen die Wände mit Plakaten, die einen Karl-Marx-Kopf zeigen, auf dem sorgfältig zwei Gurkenscheiben drapiert sind, um damit das neue Gesicht von L’Humanité5 zu illustrieren. Man befreit den Signifikanten von seinem Signifikat und rühmt sich dabei noch, kommuniziert zu haben.

Man wird einwenden, dass die wahre Staatsbürgerschaft nunmehr europäisch sei. Hier zum Beweis ein Slogan (von Ende 1998/Anfang 1999): „Ich bin in Europa, also denke ich in Euro.“ Das cartesianische „also“ ist durchaus nicht mit der Unterwerfung unter die Finanzordnung aufzuwiegen. Und noch ein anderer Slogan (vom Mai 1999): „In Europa wählen heißt heute existieren.“ Doch eine solche Aussage wirkt wie ein Lapsus. Sie gehört zu der Art Appell an die eigene Existenz, die einem letztlich nur bestätigt, dass man nicht mehr existiert. Ein solcher Slogan, der die staatsbürgerliche Existenz auf die einzelne Wählerstimme reduziert, wird auch noch den letzten engagierten Europäer entmutigen.

Seltsamerweise scheinen sich auch die herrschenden Klassen dieser gewaltigen Pädagogik der Unterwerfung nicht entziehen zu können. Jeder muss lernen, dem System zu dienen, das einen bedient. Deshalb unterwerfen sie sich, namentlich in den bedeutenden Schulen und Universitäten, in denen sie ausgebildet werden, ihrerseits Prozessen der Selbstkonditionierung, die ihre berufliche Leistung steigern sollen. So organisierte kürzlich die Unternehmensgruppe HEC speziell für die Gruppe der um die fünfzigjährigen Führungskräfte ein Karriere-Forum mit dem Thema: „Das Selbst als Unternehmen“. Ein scharfsinniges Konzept, um den Menschen beizubringen, wie sie sich selbst als ein Unternehmen im Dienste des Unternehmens (er)leben sollen. Die Teilnehmer waren aufgefordert, über ihre eigene Existenz anhand des folgenden Fragenkatalogs nachzudenken: Was ist mein wahrer Mehrwert? Pflege ich mein Beziehungsnetz gut genug? Was kann mir das Coaching bringen? Bin ich ein gutes Jagdobjekt?6

Um Missverständnissen vorzubeugen: „Gejagt werden“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, aus dem Betrieb gejagt zu werden (das wäre zu einfach), sondern: sich von einem Headhunter einfangen zu lassen! Im kapitalistischen Dschungel müssen die Management-Tiger erst bestimmte Voraussetzungen erfüllen, bevor sie Zugang zum System bekommen, und dann dürfen sie auch ihre Krallen zeigen. Hier haben wir es mit einem selten hohen Grad an Verinnerlichung zu tun, selbstverständlich ganz im Dienst eines neuen Humanismus.

dt. Markus Sedlaczek

* Autor von „Médiatiquement correct: 265 maximes pour notre temps“, Paris (Paris-Méditerranée) 1998.

Fußnoten: 1 Alain Bentolila, „De l’illetrisme en général et de l’école en particulier“, Paris (Plon) 1999, S. 84f. 2 Le Monde, 8. September 1999. 3 Dem Ereignis-Produkt entspricht unentwegt das Produkt-Ereignis. Im Oktober 1999 startete die Supermarktkette Carrefour auf diese Weise „zur Feier des Jahrhundertendes“ „Wochen historischen Discounts“. 4 All diese Formulierungen wurden am 21. September 1998 auf France-Inter gebraucht. Es handelte sich dabei um die Ausstrahlung der Befragung Bill Clintons über seine Beziehungen zu Monica Lewinsky. 5 Die Bürgermeister Frankreichs haben im Oktober 1999 allen Ernstes ein „Topmodel“ (Laetitia Casta) zum Symbol der Französischen Republik gekürt. Das Plakat mit dem Karl-Marx-Kopf, das im März 1999 in Umlauf gebracht wurde, um das „neue Gesicht“ der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité zu illustrieren, erschien nicht wenigen Aktivisten wie ein zweiter Tod des Autors des Kommunistischen Manifests. 6 „Karriere-Forum“, am 24. Juni 1999 von HEC in den Räumen von France Amériques veranstaltet.

Le Monde diplomatique vom 12.05.2000, von FRANÇOIS BRUNE