12.01.2001

Wo der Filz zumWahnsinn wird

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Wo der Filz zumWahnsinn wird

HORMONFLEISCH, Dioxinhühner, Rinderwahnsinn – eine endlose Serie von Lebensmittelskandalen rückt die Landwirtschaft ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Dass man mehr auf Quantität als auf Qualität setzte, hat in allen Ländern der EU zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt. Die Zukunft der Landwirtschaft ist längst keine Frage mehr, die nur den ländlichen Raum betrifft, sie ist ein zentrales Problem unserer Zivilisation. Maßgeblichen Anteil an den agrarpolitischen Missständen hat in Frankreich der allmächtige Bauernverband FNSEA. Er kontrolliert nahezu alle amtlichen und halbamtlichen Agrarinstitutionen und drängt den zuständigen Ministerien seinen Willen auf. Von PAOL GORNEG *

Wie viele Rinderzüchter haben dem FNSEA-Präsidenten Luc Guyau ihren Mitgliedsausweis zurückgeschickt, nachdem er am 7. November 2000 eine „Notschlachtung aller vor dem 15. Juli 1996 geborenen Rinder“ forderte. Mit dieser Reaktion auf die Panik im Gefolge der zahlreichen BSE-Fälle habe Guyau den Bauern einen „Dolchstoß in den Rücken“ versetzt, klagte ein Funktionär der Landwirtschaftskammer, der – wie so oft im Agrarmilieu, wenn von der FNSEA die Rede ist – lieber anonym bleiben will. Die Rechnung wird der größte Bauernverband Frankreichs vermutlich bei den kommenden Wahlen zur Landwirtschaftskammer am 31. Januar dieses Jahres präsentiert bekommen.

Was wollte Luc Guyau mit seinem Vorstoß erreichen? Wollte er den Staatspräsidenten überbieten, der ein Totalverbot von Tiermehlen gefordert hatte? Hoffte er, die öffentliche Aufregung zynisch ausbeutend, die Regierung nötigen zu können, die Umstrukturierung des seit Jahren kriselnden Rindfleischsektors zu finanzieren? Wollte er vergessen machen, dass seine Gewerkschaft es noch bis vor kurzem vorzog, die Ausbreitung der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie zu vertuschen und herunterzuspielen. Wollte er – als Milchproduzent – die intensive Milchkuhhaltung, eine Ursache des Rinderwahnsinns, aus der Schusslinie bringen, indem er die Schmach auf die gesamte Rinderzucht ausweitete? Wollte er von der Verantwortung der Futtermehlhersteller ablenken, die ein vitales Interesse an der Intensivtierhaltung haben? Oder wollte er durch seinen vernunftwidrigen Vorschlag nur illustrieren, was sich seiner Meinung nach in den Ställen Frankreichs abspielt?

Man wird sich kaum an einen Gewerkschaftsführer erinnern, der seine Klientel derart in Verruf gebracht hätte wie Luc Guyau. Sicher ist jedenfalls, dass er versucht, die Initiative zurückzugewinnen und den Berufsstand abermals unter der gängigen FNSEA-Parole zusammenzuschweißen, die da heißt: „Der Staat tut nicht genug.“ Oder kürzer: „Geld her!“ Also wieder das alte Spiel: Jene traditionelle demagogische Falschmünzerei, die den kleinen Bergbauern mit den Agrarmanagern in den weiten Getreideebenen zur Schicksalsgemeinschaft zusammenlügt. Doch zunächst und vor allem geht es Guyau darum, dem Steuerzahler unter Verweis auf die finanziellen Schwierigkeiten der anständig wirtschaftenden kleinbäuerlichen Betriebe die Rechnung für die Fehlentwicklungen einer bereits hoch subventionierten Intensivlandwirtschaft zu präsentieren. Im Klartext: Nachdem der Steuer zahlende Bürger dafür gezahlt hat, dass er sich vergiften und die Umwelt verschmutzen ließ, soll er nun ein zweites Mal blechen, um einer kleinen Gruppe von Agrarunternehmern die Kassen zu füllen, die ohnehin schon Dauersubventionen beziehen.

Bekanntlich werden die „öffentlichen Beihilfen an die produzierende Landwirtschaft“ in Frankreich sehr ungleich verteilt: 20 Prozent der Landwirte streichen 62 Prozent der Gelder in Höhe von insgesamt 73 Mrd. Francs ein1 , wohingegen jeder vierte Bauer leer ausgeht. Erinnert sei an die „Grünlandprämie“ in Höhe von 300 Francs je Hektar in der Rindermast, an die 2 500 Francs je Hektar Silomais oder Getreide in der Intensivtierhaltung, an die 3 800 Francs je Hektar Eiweißpflanzen in der bewässerten Landwirtschaft. Diese Agrarpolitik, die Quantität auf Kosten von Qualität fördert, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wird seit vierzig Jahren von der FNSEA mit der jeweiligen Regierung in Paris ausgehandelt und einvernehmlich umgesetzt.

Mit Ausnahme der Agrarbetriebe in den großen Getreideanbauebenen war die französische Landwirtschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs von kleinen Bauernhöfen geprägt, die kaum oder überhaupt keine Maschinen einsetzten. Die Anbauflächen waren stark zersplittert. 28 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitete auf einem der 2,3 Millionen Höfe – derzeit sind es noch 680 000 –, aber die Agrarproduktion konnte den Bedarf nicht decken. Frankreich hungerte. Am 1. Januar 1946 wurden wieder Lebensmittelkarten eingeführt, die bis Februar 1949 in Gebrauch blieben.

Staat und Regierung predigten die Intensivierung der Landwirtschaft durch Einsatz technischer Hilfsmittel und massive Investionen. Um die nötigen Darlehen zu verteilen und moderne agronomische Kenntnisse zu vermitteln, brauchte die Politik einen Ansprechpartner, der als Transmissionsriemen funktioniert. Zu diesem Zweck förderte sie die Schaffung einer Einheitsgewerkschaft für die gesamte Bauernschaft. Die Fédération Nationale des Syndicats d’Exploitants Agricoles (FNSEA) wurde 1946 auf dem Mythos der „Bauerneinheit“2 begründet, sollte also die Interessen des bretonischen Halbpächters ebenso vertreten wie die des Weingutbesitzers im Bordelais. Es war das erklärte Ziel der FNSEA, als berufsständische Organisation auf die Politik Einfluss zu nehmen. Die Petain-Ära lässt grüßen! Der organisatorische Aufbau der bäuerlichen Syndikate sah denn auch so aus, dass die nationale Föderation sich aus lokalen Organisationen (eine je Kanton) zusammensetzt, die jeweils einen Wahlbezirk abdecken.

Zwei Entscheidungen sollten die Modernisierung der französischen Landwirtschaft beschleunigen: zum einen die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957, zum anderen die nationale landwirtschaftliche Rahmengesetzgebung der Sechzigerjahre. Der in Rom beschlossene Gemeinsame Agrarmarkt trat im Juni 1960 in Kraft, praktisch zeitgleich mit dem Rahmengesetz vom Juli desselben Jahres. Letzteres wurde, zunächst unter Landwirtschaftsminister Edgard Pisani 1962 nachgebessert und ergänzt, zum Ausgangspunkt umfangreicher Reformen, die die Landwirtschaft noch heute prägen: Die Oberaufsicht über die Nutzflächen wurde den Landwirtschaftlichen Entwicklungsgesellschaften (SAFER) übertragen, die ein Vorkaufsrecht besitzen; es wurden detaillierte Vorschriften erlassen, die eine Konzentration von landwirtschaftlichen Nutzflächen und Betrieben in einer Hand regulieren und beschränken; Brachland wurde der Bewirtschaftung zugeführt; eine Neuregelung der Landpachtverträge stärkte die Rechte der Bauern; Marktordnungen regelten die Produktion der wichtigsten Agrarerzeugnisse; die öffentlichen Beihilfen wurden an bestimmte Bedingungen geknüpft (Betriebsgründung oder -erweiterung, Intensivierung der Produktion); neue Rechtsformen ermöglichten genossenschaftliche Zusammenschlüsse; finanzielle Anreize sollten ältere Landwirte veranlassen, in den Ruhestand zu gehen (Entschädigungszahlungen).

Der Berufsstand, repräsentiert durch die FNSEA und ihre Jugendorganisation – das „Nationale Zentrum der jungen Landwirte“ (CNJA) mit seinen departementalen Gliederungen (CDJA), die wiederum stark von der Katholischen Bauernjugend (JAC) beeinflusst waren –, schluckte diese gesetzlichen Regelungen. Aber der Staat ging noch einen Schritt weiter: Er betraute die Vertretung der Landwirte mit der Umsetzung seiner Politik. Es wurde gesetzlich vorgeschrieben, in allen einschlägigen Behörden und Institutionen, auf jeder Verwaltungsebene einen Gewerkschaftsfunktionär zum Leiter zu ernennen. Damit entstand ein veritables Co-Management von Staat und FNSEA, das bis zum heutigen Tag andauert. Das erklärt die schlechte Angewohnheit der Bauernfunktionäre, bei jedem Problem zum Minister zu laufen – den man sogar als obersten Dienstherrn zu bezeichnen wagt –, anstatt über das eigene Tun zu reflektieren und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Die FNSEA hat das Land also seit 50 Jahren fest im Griff. Gestützt auf die Fortschritte in der angewandten Tier- und Pflanzenforschung, setzte sie ihre Vorstellung von landwirtschaftlicher Entwicklung durch und propagierte eine forcierte Mechanisierung der Produktion. Mit diesem auf quantitative Leistungssteigerungen reduzierten Fortschrittsverständnis begann eine produktivistische Flucht nach vorn, die – um nur ein Beispiel zu nennen – in der intensiven Milchkuhhaltung endete. Gedopt mit Silomais, Mineralien-Ergänzungsfutter und Tiermehlen, hat eine Hochleistungskuh je Laktation (305 Tage) 10 000 Kilogramm Milch zu geben, bevor sie im Alter von vier Jahren ins Schlachthaus wandert. Eine unter normalen Bedingungen gehaltene Kuh hingegen, die im Sommer auf der Weide steht und im Winter mit Heu gefüttert wird, gibt „nur“ 5 500 Kilogramm Milch und wird rund zehn Jahre alt.

Die FNSEA verkündet aus ihrem Hauptquartier (11 rue de la Baume im 8. Pariser Arrondissement) gebetsmühlenartig, in Frankreich gebe es nur eine Landwirtschaft, die diesen Namen verdiene, und nur eine Weise, den bäuerlichen Beruf auszuüben – die ihre. Und wer sich in dieses Prokrustesbett nicht einspannen lässt, hat keine Chance: keine Darlehen, keine Beihilfen, keinen Absatz über die Erzeugergemeinschaften. Er muss sich mit unendlichem Papierkram herumschlagen und kann sicher sein, im Falle eines Bankrotts am Pranger zu stehen. Sollte sich ein schwarzes Schaf trotz aller Hindernisse, die man ihm in den Weg legt, doch irgendwie durchschlagen, wird die Gerüchteküche angeheizt: Er geht nicht zur Messe; er ist nicht verheiratet; seine Frau ist keine von uns; er hat doch keine Ahnung; sein Vieh sieht gar nicht gut aus. Neuerdings muss sich solch üble Nachrede auch die nachhaltige Landwirtschaft3 gefallen lassen. Wegen ihrer extensiven Bewirtschaftungsweise als „flächenfressend“ verschrien, sieht sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, niederlassungswilligen Jungbauern das Land wegzunehmen. Eine besonders ungerechtfertigte Anschuldigung, wenn man weiß, dass Zuchtbetriebe, die auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise umstellen, im allgemeinen nicht mehr Fläche verbrauchen, sondern den Viehbestand abbauen.

DAGEGEN zeigt ein Blick auf die Agrarstatistiken der Vendée (der Heimat des FNSEA-Präsidenten), dass die durchschnittliche Nutzfläche intensiv wirtschaftender Betriebe zwischen 1979 und 1997 von 23 auf 63 Hektar angestiegen ist4 (wobei der Landesdurchschnitt 1997 bei 42 Hektar lag). Die Zahl der Betriebe ging im Zeitraum 1979 bis 1998 von 23 835 auf 9 733 zurück – eine Entwicklung, die den evidenten Umstand illustriert, dass seinen Betrieb nur erweitern kann, wer seinen Nachbarn schluckt. Von 1992 bis 1999 gab in der Vendée jeder fünfte Landwirt seinen Hof auf.5 Ob in den Landwirtschaftskammern, der „grünen Bank“ Crédit Agricole oder der Sozialversicherung für Landwirte (MSA), ob in den Landentwicklungsgesellschaften, den Betriebsgründungsausschüssen, den technischen Instituten oder den Genossenschaften – die Gewerkschaft hält überall die Fäden in der Hand. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, sich als Bauer niederzulassen, ohne durch das kaudinische Joch der Föderation zu kriechen. Ebenso schwierig ist es, aus dem Verband auszutreten, ohne von den Nachbarn gschnitten zu werden.

Aber lassen wir die Statistiken und unternehmen einen Ausflug in die Vendée, wo Luc Guyau im Rahmen einer GAEC-Kooperative6 einen 100 Hektar großen Hof bewirtschaftet. Der Milchbauer darf jährlich 320 000 Liter absetzen, kein Wunder also, dass er noch elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten britischen BSE-Fälle im Jahre 1985 den zweifelhaften Mut aufbrachte, vor den Abgeordneten des parlamentarischen BSE-Untersuchungsausschusses die Verfütterung von Tiermehl zu verteidigen. Mit dem fadenscheinigen Argument, auch die Landwirte hätten ein Recht auf moderne Produktionsweisen, behauptete der FNSEA-Präsident, es sei „unmöglich, die Tiere das ganze Jahr über mit Grünfutter zu ernähren“. Damals, im Juli 1996, fand sich nicht ein Abgeordneter, der den „Präsidenten der Landwirte“ daran erinnert hätte, dass Kühe Pflanzenfresser sind, dass sie in der warmen Jahreszeit normalerweise auf der Weide stehen und im Winter Heu fressen, das der Bauer vorsorglich eingefahren haben sollte.

Hier also sind wir in der Vendée, wo der Präsident alle strategischen Posten mit seiner Gefolgschaft besetzt hat. In der Vendée, wo auch die Männer herstammen, mit denen er seine Machtposition auf nationaler Ebene absichert. Zum Beispiel Joël Limouzin, Vorsitzender des FNSEA-Departement-Verbandes (FDSEA), ein Schweinezüchter, der bei einer Kontrolle aufflog, weil er mehr Säue hielt als erlaubt, und seinen Betrieb wegen Verschmutzung einer touristisch wertvollen Landschaft verlagern musste. Oder Christian Aimé, Schatzmeister der FDSEA und zugleich Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, Präsident der „Departementalen Vereinigung für die Strukturverbesserung landwirtschaftlicher Betriebe“ (ADASEA) sowie Leiter der Dienststelle „Agrarentwicklung“ bei der departementalen Landwirtschaftskammer.

Die Vendée-Kameraden besetzen auch die obersten Funktionärsposten auf nationaler Ebene. Der Vorsitzende der Rindfleischabteilung der FDSEA ist zugleich Präsident des Nationalen Rindfleisch-Verbands (FNB) und Mitglied des Berufsübergreifenden nationalen Büros für Fleisch, Vieh- und Geflügelzucht (Ofival). Der Vizepräsident des Nationalen Verbands der Milchproduzenten (FNPL) sitzt im Berufsübergreifenden nationalen Büro für Milch und Milcherzeugnisse (Onilait) und ist überdies Präsident des Instituts für Viehzucht. Joseph Jauzelon sitzt im Allgemeinen Verband der Getreideproduzenten (AGPB), einer mächtigen Interessengruppe. Daniel Rabiller, ehemals Präsident der Erzeugergemeinschaft Cavac steht heute an der Spitze des Nationalen Verbands der Erzeuger- und Futtermittelkooperativen (Syncopac), einer der beiden Verbände der Hersteller von Futtermitteln (Granulat, Mehle usw.). Alfred Besseau präsidiert dem Berufsübergreifenden Verband der Milchproduzenten (Cidil). Und diese Liste ist keineswegs vollständig.

Ob im Milch-, Fleisch- oder Getreidesektor, ob in der Futtermittelherstellung oder der Sozialversicherung, die entsprechenden Instanzen in der Vendée wie auf nationaler Ebene befinden sich fest in der Hand der FNSEA. Wer mit deren Entscheidungen nicht einverstanden ist, hat nur das Recht, das Maul zu halten. Die anderen landwirtschaftlichen Gewerkschaften, die im Departement vertreten sind (die Confédération Paysanne und die Coordination Rurale), haben in der Landwirtschaftskammer von Roche-sur-Yon nichts zu sagen und werden nur zur Verabschiedung des jährlichen Haushalts eingeladen. Die Leitlinien der regionalen Agrarpolitik werden anderswo beschlossen, hinter den geschlossenen Türen eines zu 100 Prozent mit FDSEA-Mitgliedern besetzten Exekutivbüros. Jeder Vorschlag, jede Überlegung, die nicht aus diesem Machtzentrum stammt, wird systematisch vom Tisch gewischt. Eine Landwirtin aus der Region beschreibt die Situation folgendermaßen: „Wenn ihnen aufgrund des Drucks der Öffentlichkeit keine andere Wahl mehr bleibt, versuchen sie, die Sache zu vereinnahmen und zu entschärfen und so zu tun, als wären sie selbst auf die Idee gekommen. Das war beim Agrotourismus so, den sie anfangs als Blödsinn hinstellten, das ist beim biologischen Landbau so, den sie auf kleine Inseln beschränken wollen, und bei der nachhaltigen Landwirtschaft und den Territorialen Nutzungsverträgen (CTE)7 sieht es nicht anders aus. Diskussion und Meinungsstreit ist diesen Leuten fremd.“

Auch in den eigenen Kreisen scheint alles vorab entschieden zu werden: „Nur ganz wenige Mitglieder ergreifen das Wort, kaum jemand kommt zu den Generalversammlungen, so dass man extra Einladungen verschicken muss, um das Quorum zu erreichen“, hört man in den Gängen der Landwirtschaftskammer. Das Diktat der Gewerkschaftsspitze über die Basis – erstaunlich bei Funktionären, die ständig die Vorzüge des Liberalismus rühmen – findet sich in allen Instanzen, in denen die FDSEA der Vendée mitwirkt. Ein Insider äußerte über Luc Guyau und Freunde: „Sie treffen sich sehr häufig mit dem ein oder anderen Minister oder dem Staatspräsidenten. Da können Sie sich leicht vorstellen, dass der Präfekt tut, was Guyau befiehlt, und es sich nicht herausnimmt, ihm in irgendeinem Punkt zu widersprechen.“ Oft kennt die FDSEA-Führung die von der Bürokratie vorbereiteten Verordnungen noch vor den zuständigen lokalen Behörden, weshalb es nicht selten vorkommt, dass „sich der Präfekt oder der Verwaltungsdirektor für Landwirtschaft auf dienstlichen Versammlungen beim Gewerkschaftsvertreter erkundigt, wie weit diese oder jene Durchführungsverordnung gediehen ist“. Und wenn ein Bauer die Rechtsberatung der Landwirtschaftskammer in Anspruch nehmen möchte, trifft er unweigerlich auf einen FDSEA-Funktionär, der sich seiner Sache gern annehmen will – wenn der Hilfesuchende zuvor ein Beitrittsformular unterschrieben hat.

Dass eine derartige Monopolstellung vielfältigen Machtmissbrauch begünstigt, liegt in der Natur der Sache. So hatte die FDSEA-Vendée mit dem Versicherer Groupama einen Exklusivvertrag ausgekocht, der ihren Mitgliedern diverse finanzielle Vorteile bot und einen Vertretungsdienst im Krankheitsfall organisierte. Unter dem Druck der Confédération Paysanne musste Groupama die Exklusivklausel für alle Versicherten öffnen. Ähnliches geschah mit den Landnutzungsverträgen (CTE: Contrats Territoriaux d’Exploitation): „Die Landwirtschaftskammer wollte eine Reihe exemplarischer CTEs umsetzen, hatte aber nicht eine Idee vorzuschlagen. Eines aber wusste sie genau, nämlich dass es zehn gute Ideen gibt und wer sie umsetzen darf: sechs Projekte wurden für die FDSEA und ihren Satelliten CDJA reserviert, drei bekam die Confédération Paysanne zugeteilt, und ein Projekt ging an die Coordination Rurale.“ Nachgedacht wurde also lediglich über die Aufteilung des Kuchens, denn die Nutzungsverträge versprachen reichliche Subventionen. Mit der Bewertung der Projektanträge betraute die Landwirtschaftskammer ihre Dienststelle für Agrarentwicklung (Suad), die fest in der Hand der FDSEA ist. Bis zum heutigen Tag haben die Suad und die staatliche Landwirtschaftsdirektion des Departements (DDA) allein den Antrag des Multifunktionärs Christian Aimé bewilligt, der sowohl in der Landwirtschaftskammer als auch in der FDSEA und in der Suad sitzt (wie günstig, wenn man zugleich Prozesspartei und Richter ist). Alle anderen Anträge liegen seit einem Jahr auf Eis, ohne dass die Antragsteller erfahren würden, was einer Bewilligung im Weg steht. Auf nationaler Ebene lässt es sich die FNSEA indes nicht nehmen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass das bereitgestellte CTE-Subventionsvolumen nicht ausgeschöpft ist und man daher eine Neuverteilung ins Auge fassen müsse.

NEHMEN wir das CTE-Projekt des Herrn Aimé etwas genauer unter die Lupe. Ein Kenner der Akte weiß zu berichten: „Christian Aimé und einige andere Landwirte hatten im Rahmen eines Bodenordnungsprojekts gewisse Auflagen zum Schutz von Feuchtgebieten akzeptiert. Als das Projekt auslief, hätte Aimé durchaus eine Fortschreibung beantragen können. Er entschied sich jedoch für die 500 000 Francs, die ein Landnutzungsvertrag versprach, und erbot sich in diesem Rahmen, ein Flachsilo, einen Schuppen und eine Holzabsperrung auf seinen Ländereien zu errichten. Dass die Landwirtschaftsdirektion der Ansicht war, dieses Projekt erfülle die ökologischen Ansprüche eines CTE, erklärt sich einzig und allein aus dem Umstand, dass der Antrag aus den Reihen der FDSEA stammt.“ Den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Landnutzungsverträge – umweltgerechtes Wirtschaften und Schaffung von Arbeitsplätzen – ließ dieses Projekt schwerlich erkennen. Zum einen schuf es keinen einzigen Arbeitsplatz, zum anderen sind Aimés CTE-Flächen integraler Bestandteil eines nach den Methoden der Intensivlandwirtschaft bewirtschafteten Hofs von insgesamt 237 Hektar Nutzfläche. Der CTE diente hier offenkundig nur als Vorwand, um Subventionen abzuzocken – ein Gebaren, das ein anderer Landwirt des Departements so erklärt: „Die Landwirtschaft dieser Leute kann aus eigener Kraft kein ökonomisches Gleichgewicht finden. Die stehen mit dem Rücken zur Wand und rennen nur noch finanziellen Beihilfen hinterher, anstatt einzusehen, dass die Dinge so nicht weiterlaufen können und es höchste Zeit ist, über eine andere Wirtschaftsweise nachzudenken.“

Zum Abschluss unseres kurzen Ausflugs in die Vendée wollen wir uns den Orientierungsausschuss für Agrarfragen des Departements (CDOA) ansehen. Er untersteht der Oberaufsicht des Präfekten und hat neben der Festlegung des Agrarentwicklungsplans für das Departement die Aufgabe, über landwirtschaftliche Projektanträge zu entscheiden, vor allem auch über die Anträge junger Menschen, die sich als Bauern niederlassen möchten. Seit In-Kraft-Treten des Agrarrahmengesetztes von Louis Le Pinsec im Juli 1999 stehen die Orientierungsausschüsse nun auch den Verbraucher- und Umweltschutzverbänden offen, deren Vertreter auf Vorschlag ihrer Organisationen vom Präfekten ernannt werden. Wie aber werden diese Bestimmungen in der Vendée umgesetzt? In völliger Unabhängigkeit ernannte der Präfekt zum Repräsentanten der Verbraucher Henri Guillet, einen FDSEA-Funktionär im Ruhestand, zum Vertreter der Jäger Rémi Bossard – ein FDSEA-Mitglied, das gemeinsam mit seinem Sohn, in seiner Eigenschaft als CDJA-Präsident ebenfalls im Orientierungsausschuss vertreten, eine GAEC-Kooperative betreibt –, zum Vertreter der Vogelschutzvereinigung Gérard Piveteau, ein weiteres Mitglied des Bauernverbands. So werden gesellschaftliche Fragen im Familienkreis geregelt.

Reisen wir ein wenig weiter nach Süden, in die Gironde. Dort entdecken wir einen Bericht des regionalen Rechnungshofs, der die undurchsichtige Finanzierung der FDSEA und ihrer Satelliten durch die Landwirtschaftskammer bemängelt. Seit 1999 muss die Kammer daher offenlegen, in welcher Höhe sie welche landwirtschaftlichen Organisationen bezuschusst. Jean-Pierre Leroy, örtlicher Sprecher der Confédération Paysanne, berichtet: „Im Dezember 1999 erfuhren wir bei der Abstimmung über den Haushalt, dass die FDSEA 750 000 Francs, das CDJA 200 000 Francs und ihre gemeinsame Zeitschrift L’Avenir Aquitain ebenfalls 200 000 Francs erhalten hatten.“ Des weiteren beklagt Leroy „die gefräßige Erweiterungssucht der FNSEA-Mitglieder“, die zu Lasten der Niederlassung junger Landwirte gehe.

Der letzte Punkt lässt sich mit der erbaulichen Geschichte des Jean-Luc Ribette illustrieren, der die Nachfolge eines in den Ruhestand gehenden Bauern aus Asques antreten wollte. Nachdem sich Jean-Pierre Leroy des Falls angenommen hatte, nahm ihn die FDSEA unter Feuer. Als ihn die Technische Kommission der landwirtschaftlichen Entwicklungsgesellschaft (SAFER) zu einer Unterredung bestellte, waren drei weitere Landwirte anwesend, die den fraglichen Hof unter sich aufteilen wollten. Leroy musste sich anhören, dass „man einem Jungbauern nicht 44 Hektar überlassen kann“. Auf seine Einwände hin hieß es, die drei Bewerber brauchten die Fläche, „um rentabel zu wirtschaften“, und zu guter Letzt kam der Vorschlag: „Wenn Sie wollen, teilen wir nicht durch drei, sondern durch vier.“

Da Leroy auf diesen Kuhhandel nicht eingehen wollte (weshalb er den Kandidaten Ribette so hartnäckig verteidigte, wollte den Honoratioren partout nicht einleuchten: „Der Junge ist doch nicht einmal Bauer, sondern Sohn eines Arbeiters“), machte die FDSEA bei der Landwirtschaftsdirektion ihren ganzen Einfluss geltend, um den Hof von der Landkarte zu streichen und unter den drei anderen Bewerbern aufzuteilen.

Die erhielten am Ende den Zuschlag mit der Begründung, Ribette besitze kein „vorläufiges Eignungszeugnis“, ein Schriftstück, das der zuständige Minister normalerweise unterzeichnet, wenn sich der Bewerber verpflichtet, sein Landwirtschaftsdiplom innerhalb der nächsten acht Monate zu absolvieren. Eine Verpflichtung, die der Betreffende eingegangen war, der überdies geltend machen konnte, dass er bereits zehn Jahre in der Landwirtschaft arbeitete. Mit Unterstützung einiger Bauern und einer Geräte-Kooperative ist Ribette vor kurzem doch noch zu seinem Hof gekommen, und zwar ohne öffentliche Beihilfen. Die werden heutzutage bei der Hälfte aller neu gegründeten Betriebevorvorenthalten, weil die Mehrheitsgewerkschaft diese als nicht „normengerecht“ einstuft.

Das Ergebnis dieser Verstöße gegen die Demokratie: Ungeheure öffentliche Summen werden verschwendet oder dem Willen des Gesetzgebers zuwider zweckentfremdet. Rinder werden wahnsinnig, Geflügel und Säue mit transgenen Erzeugnissen gefüttert, mit Klärschlamm gemästet, mit Antibiotika vollgestopft, mit Schwermetallen gespickt, die Gewässer mit Nitraten und Pestiziden verseucht, die Landbevölkerung in die Flucht geschlagen. Die Verantwortlichen für diese Art von Landwirtschaft bilden einen veritablen Staat im Staate, während der eigentliche Staat sich aus der Verantwortung stiehlt. Seit dreißig Jahren zwingen diese Leute der Natur einen mörderischen Rhythmus auf, mit dem erklärten und teilweise realisierten Ziel, ihr Land in eine Agrarfabrik zu verwandeln. Zur Ausbreitung der BSE-Krankheit haben sie geschwiegen, um den Rindfleischsektor und die Futtermittelindustrie zu schützen, zu Lasten der öffentlichen Gesundheit. Nun haben sie in der Person des Luc Guyau und manch anderen FNSEA-Funktionärs die Stirn, nur ein Tiermehlverbot zu fordern, ohne das Agrarmodell selbst in Frage zu stellen, welches dafür verantwortlich ist, dass sanftes Vieh zu Fleischfressern wurde.

Doch seit der Attacke auf die McDonald-Filiale im südfranzösischen Millau, seit den internationalen Großkundgebungen von Seattle, Millau, Bangalore und demnächst in Porto Alegre, seit der Vernichtung von Feldern mit genmanipulierten Pflanzen und dem Rindfleischboykott mischen sich die Bürger und Verbraucher in die Agrardebatte ein, um der Katastrophe Einhalt zu gebieten und die wahren Bauern zu schützen. Die Zeit scheint reif, die Landwirtschaft nicht mehr den Landwirten allein zu überlassen und schon gar nicht der Kontrolle eines allmächtigen Bauernverbands, der sich als die letzte „Sowjetgewerkschaft“ dieses Landes kenntlich macht.

Dabei ist zu fragen, ob die Bürger nicht eine Vertretung in der Landwirtschaftskammer ihres Departments fordern sollten. Dann könnte auf der Prioritätenliste der Kammern vielleicht schon bald ganz oben stehen, was inzwischen unabweisbar geworden ist: nachhaltige Landwirtschaft, Landschaftspflege, Lebensmittelsicherheit. Auf dem Weg vom Feld zum gedeckten Tisch sind vielfältige Entscheidungen zu fällen, über die Bewirtschaftungsweise, über die Art der Nahrungsmittel, über die Raumnutzung. Und es wäre äußerst wünschenswert, dass diese Entscheidungen auf demokratische Weise zustandekommen.

dt. Bodo Schulze

* Agraringenieur

Fußnoten: 1 Quelle: Agreste/ Landwirtschaftsministerium, November 2000. 2 Bereits 1945, noch vor der FNSEA-Gründung, spielte das Motiv der „Bauerneinheit“ eine wesentliche Rolle. So auch später unter dem ersten FNSEA-Präsidenten Eugène Forget. 3 Nachhaltige Landwirtschaft zeichnet sich durch eine boden-, pflanzen-, tier- umwelt- und menschengerechte Wirtschaftsweise aus. 4 Quelle: Statistiken der Landwirtschaftskammer der Vendée, Januar 2000. 5 ebd. 6 GAEC: Groupement Agricole d’Exploitation en Commun. 7 Der „Contrat Territorial d’Exploitation“ (CTE) wird auf fünf Jahre zwischen einem Bauern und dem Staat abgeschlossen. Es handelt sich dabei um die französische Umsetzung der Agrarumweltmaßnahmen, die auf dem europäischen Ratsgipfel von Berlin im März 1999 beschlossen wurden. Als Gegenleistung für Finanzbeihilfen verpflichtet sich der Bauer, sein Handeln an bestimmten sozioökonomischen und umweltpolitischen Zielen auszurichten. Zu Ersteren gehört die Umstellung auf Qualitätserzeugnisse, die Aufrechterhaltung des Beschäftigungsniveaus und die Diversifizierung seiner Produktion. Zu Letzteren zählen ein verringerter Einsatz von Chemikalien, Maßnahmen gegen die Bodenerosion und dergleichen mehr.

Le Monde diplomatique vom 12.01.2001, von PAOL GORNEG