12.03.2020

Wut auf Paris in Françafrique

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Wut auf Paris in Françafrique

von Fanny Pigeaud

Macron auf Truppenbesuch in Mali CHRISTOPHE PETIT TESSON/picture alliance/ap
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Die Karikatur machte Ende 2019 in den sozialen Netzwerken im französischsprachigen Afrika die Runde: Ein Hahn in den Farben der Trikolore, der an einem riesigen Getreidesack in Form des afrikanischen Kontinents pickt. Sie steht beispielhaft für eine wachsende Welle der Kritik an Frankreich; in einer Region, die vor nicht allzu langer Zeit noch als dessen „Hinterhof“ galt.

Entsprechende Zeitungsartikel, Fernsehdebatten, Erklärungen und Kampagnen verbreiten sich in ganz Westafrika: „Nieder mit Frankreich!“, schallte es Ende 2019 in den Straßen der malischen Hauptstadt Bamako, als hunderte Demonstranten den Abzug der Soldaten der Operation „Barkhane“ forderten, die offiziell zur Bekämpfung islamistischer Gruppierungen im Land sind.1 Zur gleichen Zeit zerrissen Studenten im nigrischen Zinder eine französische Fahne.

Französische Politiker, darunter auch Präsident Emmanuel Macron, werteten die Proteste als Folge eines „Miss­verständnisses“ oder sogar einer „Des­informationskampagne“ einer rivalisierenden Macht – womit sie, ohne es auszusprechen, Russland meinten. Tatsächlich konnte die russische Regierung das für Frankreich ungünstige politische Klima nutzten und bereits 2018 seinen Marktanteil zum Beispiel im Sicherheitssektor in der Zentralafrikanischen Republik ausweiten.

Richtig ist auch, dass viele Falschinformationen zirkulieren, wie etwa die Fotomontage vom Dezember 2019, die den Eindruck erwecken sollte, die französische Armee habe Motorräder an islamistische Milizen in Mali geliefert. Doch der eigentliche Grund für die zunehmenden Verärgerung ist die Afrikapolitik der französischen Regierung. „Es herrscht Überdruss und Empörung über die Einflussnahme des französischen Staats auf unsere Regierungen und damit auch auf unsere Wirtschaft, auf unsere Bevölkerung“, sagt Mamadou Koulibaly.2 Der ivorische Wirtschaftswissenschaftler und Opposi­tions­politiker war früher Präsident der Nationalversammlung seines Landes.

Die Kritik, die Intellektuelle und Oppositionelle schon seit Langem am französischen Imperialismus – an „Françafrique“ – üben, ist auf der Straße angekommen. Diese Entwicklung lasse sich dadurch erklären, dass eine Generation herangewachsen ist, „die sich nicht mehr darum kümmert, was Frankreich für die Älteren darstellen mag, und die immer weniger in Richtung Frankreich blickt“, meint der Schriftsteller Boubacar Boris Diop.

Die Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht richtet sich unter anderem gegen die seit 1960 bestehende „währungspolitische Zusammenarbeit“ mit 14 afrikanischen Ländern. Die Afrikanische Währungsgemeinschaft (Communauté financière africaine, CFA) ist derzeit in zwei Zonen aufgeteilt: den CFA-Franc Westafrikas und den CFA-Franc Zentralafrikas. Die Währung ist an den Euro gekoppelt und steht nach wie vor unter der Kontrolle Frankreichs, das ihre Konvertierbarkeit garantiert. Den Kritikern zufolge behindert der CFA-Franc die Entwicklung der beteiligten Länder, da er ihnen einen Teil ihrer Souveränität nehme. Sie fordern die Einführung von regionalen oder na­tio­na­len Währungen. Im Senegal etwa hat die Front für einen panafrikanischen antiimperialistischen Volksaufstand (Frapp) eine Kampagne mit der unzweideutigen Parole „Frankreich raus!“ initiiert.

Macron, der noch 2017 versicherte, der CFA-Franc sei „für Frankreich kein Thema“, kündete daraufhin bei einem Besuch in Abidjan Ende 2019 überraschend eine Reform des CFA-Franc West­afrikas an. Die acht betroffenen Staaten sollen nicht mehr verpflichtet werden, 50 Prozent ihrer Devisenreserven beim französischen Schatzamt zu deponieren. Allerdings bleibe dadurch die „untergeordnete währungspolitische Position“ nach wie vor bestehen, monierten rund 50 afrikanische Experten – insbesondere durch die Beibehaltung des festen Wechselkurses zum Euro.3

Afrikanische Devisenreserven lagern in Frankreich

Die verstärkte französische Militärpräsenz in Afrika als Reaktion auf die vielen Anschläge in der Sahelzone ist ein weiterer Streitpunkt. Schon seit 1960 unterhält Paris in seinen ehemaligen Kolonien ein Netz von permanenten und temporären Stützpunkten. Und die französische Armee wurde in der Vergangenheit häufig eingesetzt, um verbündete Führer an die Macht zu bringen oder zu stützten, so wie 1990 Omar Bongo in Gabun oder 2008 Idriss Déby Itno im Tschad.

2013 lancierte Paris seine Operation „Serval“ in Mali, mit der der Vormarsch islamistischer Kämpfer auf die Hauptstadt Bamako gestoppt werden sollte. Waren die Gründe für den Militäreinsatz bereits damals umstritten, nimmt die Kritik an Frankreich in dem Maße zu, wie die bewaffneten Gruppen wieder an Boden gewinnen und die Zahl der Todesopfer in Mali und Burkina Faso steigt.

„Viele Malier sind überzeugt, dass Frankreich nur aus wirtschaftlichen und strategischen Interessen interveniert und zur Destabilisierung des Landes beiträgt, um seine Präsenz zu legitimieren“, erklärt Boubacar Haidara von der Science Po Bordeaux. Auch glaubten viele Malier, dass Paris Partei für die ehemaligen Tuaregrebellen ergriffen habe. Chérif Sy, Verteidigungsminister von Burkina Faso, sagte im vergangenen Juni, es habe ihn „überrascht, dass die Franzosen diese Terroristenbanden nicht ausschalten konnten“. Weshalb er sich fragt: „Wollen sie das überhaupt, oder haben sie eine andere Agenda?“4

Auch die von der französischen Armee geschmiedeten Allianzen, etwa mit der größtenteils aus Tuareg bestehenden Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA), schüren das Misstrauen. Diese militante Gruppe startete 2012 zusammen mit der islamistischen Gruppe Ansar Dine die ersten Angriffe auf Militärlager im Norden Malis. Kurz darauf machte die französische Armee sie zu ihrem Partner im Krieg gegen die Islamisten. Nach der Befreiung der Stadt Kidal 2013 „übergaben“ die französischen Militärs die Stadt der MNLA, wie der ehemalige französische Botschafter in Bamako, Ni­co­las Normand, es ausdrückte.5

Dass Macron im November 2019 als Erster den baldigen Besuch des malischen Regierungschefs in der noch immer von der MNLA und ihren Verbündeten kontrollierten Stadt verkündete, verstärkte das Misstrauen nur noch. „Für manche Malier ist das der Beweis, dass der Schlüssel zur Lösung des Kidal-Problems in Paris liegt“, meint Haidara.

Mehrere Kulturschaffende, die bislang im Hintergrund blieben, mischen sich nun ebenfalls ein. Der Filmemacher Cheick Oumar Sissoko, ehemaliger Kulturminister Malis, sprach in einem offenen Brief an Macron vom „kolonialen Habitus“ – einer „Geisteshaltung, die aus einem Überlegenheitskomplex und einer selbstherrlichen Verachtung für die beherrschten, vom französischen Kolonialismus ausgebeuteten Völker besteht“. Sie sei in der herrschenden Klasse Frankreichs tief verwurzelt und werde weiter kultiviert, so Sissoko.

Der malische Sänger Salif Keïta behauptete sogar, in Afrika gebe es „keine Dschihadisten, nur von Frankreich bezahlte Söldner“. Er beschuldigte Malis Präsidenten, Ibrahim Boubacar Keïta, sich diesem „kleinen Bürschchen Emmanuel Macron zu unterwerfen“. Nach seinen Äußerungen, die er im Ausland gemacht hatte, wurde dem Musiker bei seiner Rückkehr nach Bamako ein triumphaler Empfang beschert. „Den französischen Präsidenten ‚Bürschchen‘ zu nennen, das gab es noch nie. Alle fanden das gut“, sagt Boubacar Boris Diop.

Paris war sichtlich überfordert angesichts der massiven Kritik – und verlegte sich aufs Abstreiten: „Frankreich hat keine neokolonialen, imperialistischen oder wirtschaftlichen Ziele. Wir sind vor Ort für die kollektive Sicherheit der Region und für unsere eigene“, erklärte Macron im Dezember. Bereits 2013 hatte Präsident François Hollande beteuert, Frankreich folge in Mali keinem wirtschaftlichen oder politischen Kalkül.

Aber solche Dementis richten wenig aus gegen den in sozialen Netzwerken immer wieder aufgegriffenen Kommentar Hama Ag Mahmouds, Ex-­Mitglied der MNLA und früherer malischer Minister. Er hatte beteuert: „Es findet einen Krieg um Bodenschätze statt.“6

Macron ist sichtlich verärgert: Ende vergangenen Jahres beklagte er die „Ambivalenz“, mit der die politisch Verantwortlichen in Afrika den „antifranzösischen Bewegungen“ begegneten. An die Regierungen der G5-Sahel-Länder (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad) richtete er die Forderung: „Ich erwarte, dass Sie Ihre Wünsche gegenüber Frankreich und der internationalen Gemeinschaft untereinander klären und formell festhalten. Und das dann auch öffentlich kommunizieren.“

Seine Äußerungen wurden sogleich als Versuch interpretiert, die Kritik zum Schweigen zu bringen. „Wir befinden uns in einer Demokratie“, erwiderte Burkina Fasos Präsident Roch Marc Christian Kaboré. „Wir können niemanden daran hindern, seine Meinung zu sagen.“

Die französische Regierung ist auch deshalb nervös, weil andere Mächte wie Russland, China und die Türkei versuchen, ihren kommerziellen und mi­litärischen Einfluss in Afrika auszu­dehnen und dazu bilaterale Partnerschaften ausbauen. Was kann Frankreich also tun? „Es muss sich endlich damit abfinden, dass das koloniale Zeitalter vorbei ist“, sagt Boubacar Boris Diop.

„Wenn Salif Keïta zum malischen Präsidenten sagt, ‚gehen Sie, bevor es zu spät ist‘, gilt dies genauso auch für Frankreich“, meint Diop. Auch wenn das nicht so einfach sein dürfte, fügt der Schriftsteller hinzu, denn trotz der Unzufriedenheit der Bevölkerung ändere sich an einer Tatsache nichts: „Die Politiker, ob an der Macht oder in der Opposition, haben bis auf wenige Ausnahmen Muffensausen, etwas Schlechtes über Frankreich zu sagen.“

Die Staatschefs im frankofonen Afrika, von denen einige schon seit Jahrzehnten an der Macht sind, stecken in einer Zwickmühle, gefangen zwischen der Forderung der Bevölkerung nach mehr Unabhängigkeit auf der einen Seite und dem Druck der französischen Regierung auf der anderen. Viele von ihnen wissen, dass sie ohne Unterstützung aus Paris längst nicht mehr an der Macht wären.7

Und keiner von ihnen hat vergessen, was mit ihren Vorgängern geschah, die sich Frankreich widersetzt haben; Ahmed Sékou Touré in Guinea etwa, der zahlreiche Destabilisierungsversuche abwehren musste, oder Thomas Sankara in Burkina Faso, der durch einen Staatsstreich gestürzt und 1987 ermordet wurde.

Anfang Dezember 2019 sah sich die ivorische Regierung veranlasst, die in Abidjan ansässige schweizerisch-kamerunische Aktivistin Nathalie Yamb auszuweisen – ihr wurden „mit dem nationalen Interesse unvereinbare Aktivitäten“ zur Last gelegt. Yamb hatte Frankreich Ende Oktober 2019 vorgeworfen, Afrika „als sein Eigentum“ zu betrachten, und die Regierungschef der CFA-Zone als „Lakaien Frankreichs“ bezeichnet.

In den letzten Jahren hat einzig die Regierung Kameruns die antifranzösische Stimmung als Hebel genutzt, um im Kräftemessen mit Paris über die politische Zukunft des Landes einen Vorteil zu erringen: Über Monate hinweg wurde in den regierungsnahen Medien heftige Kritik an Frankreich geübt.

Unter den Oppositionspolitikern begreifen bisher nur wenige die Kritik am französischen Imperialismus als eine Chance, die Ideale einer eigenständigen nationalen Entwicklung wiederzubeleben. Ideale, für die einst Modibo Keïta in Mali oder Sankara in Burkina Faso standen.

Unterdessen macht die französische Regierung weiter wie bisher: Am 2. Februar 2020 verkündete Paris die Verstärkung der Operation „Barkhane“ in der Sahelzone von 4500 auf 5100 Soldaten. Die Mahnungen zahlreicher Beobachter, dass eine allein auf Sicherheitspolitik ausgerichtete Strategie nicht ausreiche, um das Gebiet zu stabilisieren, wurden dabei ignoriert.

1 Zum Desaster der Operation „Barkhane“ siehe Charlotte Wiedemann, „Mission Mali“, LMd, September 2014.

2 „Jeudi, c’est Koulibaly!,M. Macron, vous pouvez donner mille instructions à nos chefs d’État …' “, YouTube, 5. Dezember 2019.

3 „Des intellectuels africains réagissent aux réformes du franc CFA“, SenePlus, 7. Januar 2020, www.seneplus.com.

4 Simon Allison, „I question France’s motives, says Burkina Faso’s defence minister“, Mail & Guardian, Johannesburg, 4. Juni 2019.

5 Christine H. Gueye, „Un ex-ambassadeur français au Mali éclaire les propos de Salif Keita sans les excuser“, Sputniknews, 22. November 2019.

6 „,La France nous avait donné son feu vert pour l’indépendance de l’Azawad’“, Le Courrier du Sahara, 9. April 2015.

7 Siehe Tierno Monénembo, „Nkurunziza und andere Potentaten“, LMd, Dezember 2015.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Fanny Pigeaud ist Journalistin. Zusammen mit Ndongo Samba Sylla ist sie Autorin von „L’Arme invisible de la Françafrique. Une histoire du franc CFA“, Paris (La Découverte) 2018.

Le Monde diplomatique vom 12.03.2020, von Fanny Pigeaud