13.06.2019

Wasserkraft voraus!

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Wasserkraft voraus!

In Frankreich sind Staudämme und Pumpkraftwerke weitestgehend in staatlicher Hand – noch

von David Garcia

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Montézic ist ein kleines Dorf im Département Aveyron im französischen Zentralmassiv. Von einem Höhenzug grüßt das Schloss von Valon, eine Ruine aus dem 14. Jahrhundert, ansonsten ist weit und breit kein Haus zu sehen.

Unsichtbar ist auch das Kraftwerk, das die staatlich dominierte französische Elektrizitätsgesellschaft (EDF) hier betreibt. Zusammen mit vier EDF-Mitarbeitern fahre ich in einen Höhlentunnel ein, um zu dem unterirdischen Maschinenhaus des Pumpspeicherkraftwerks zu gelangen. Rund 400 Meter tiefer stehen in einer hohen künstlichen Kaverne die vier Turbinen des Kraftwerks, die mit Wasser aus Druckrohrleistungen betrieben werden. Das Wasser kommt aus einem Stausee im Tal des Flüsschen Truyère.

Die Turbinen sind in weniger als zwei Minuten betriebsbereit und können dann so viel Strom produzieren wie ein Atomkraftwerk. „Das ist so, als würden Sie in Paris die Seine mal kurz anhalten und sagen: Jetzt pumpe ich den Fluss hoch auf den Eiffelturm“, erklärt Benoît Desaint, EDF-Manager für das Zentralmassiv.

Ein Pumpspeicherkraftwerk wie Montézic kann nicht nur Strom gleichsam auf Knopfdruck produzieren, es kann auch größere Reserven für Zeiten hoher Nachfrage speichern. „Am Wochenende, wenn wenig Strom verbraucht wird, pumpen wir das Wasser wieder in das höher gelegene Staubecken zurück“, erklärt mir Denis Cambon, Betriebsleiter von Montézic. „Ab Montagmorgen und während der Spitzenlastzeiten läuft das Wasser dann wieder vom oberen ins untere Becken und treibt die Turbinen an.“ Somit ist dieser Kraftwerkstyp sehr flexibel einsetzbar und ergänzt damit die durchgehend produzierenden Atomkraftwerke, die man nachts nicht abschalten kann.

Wasserkraft ist eine der wichtigsten erneuerbaren Energien, die 12 Prozent der französischen Stromproduktion ausmachen. Neben dem EDF-Pumpspeicherkraftwerk Montézic gibt es im Tal der Truyère noch zehn weitere Anlagen. Um die Konzessionen für diese Anlagen ist ein heftiger Kampf ausgebrochen. Dabei stehen sich die französische Regierung, die Eigentümerin der Staudämme ist, und die EU-Kommis­sion gegenüber, die nachdrücklich eine Öffnung des Markts für die interna­tio­nale Konkurrenz fordert.

Bei dem Streit geht es um insgesamt 400 Staudämme, die vorwiegend von der EDF betrieben werden. Der Staatskonzern kontrolliert 83 Prozent der nationalen Wasserkraftkapazität, der Rest verteilt sich auf zahlreiche lokale Anbieter. 12 Prozent dieser nichtstaatlichen Anlagen unterhält die Compagnie nationale du Rhône (CNR), 2 Prozent die Société hydroélectrique du Midi (SHEM); beides sind Tochterfirmen des privaten Energiekonzerns Engie, der 2008 aus der Fusion der mehrheitlich in staatlicher Hand befindlichen Gesellschaft Gaz de France (GDF) und des Mischkonzerns Suez hervorging.1

Die Verfechter neoliberaler Wirtschaftstheorien in Paris wie in Brüssel bezichtigen die EDF des „Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung“. Das öffentliche Unternehmen wurde 1946 mit dem Gesetz zur Verstaatlichung der privaten Elektrizitätsgesellschaften gegründet. Seit den 1990er Jahren wurde die EDF durch zahlreiche in Brüssel konzipierte und von Paris unterstützte Regelungen immer stärker eingeschränkt. 1993 verabschiedete die sozialistische Regierung unter Pre­mier­minister Pierre Bérégovoy das Sapin-Gesetz, das die Laufzeit der Verträge für öffentliche Versorgungsleistungen verkürzte, für den Energiebereich eine Marktöffnung vorsah und den öffentlichen Unternehmen den Gang an die Börse vorschrieb.

Unter der konservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin wurde die EDF im August 2004 in eine Ak­tien­gesellschaft umgewandelt, seitdem muss sie sich, sobald die Konzession für ein Wasserkraftwerk ausläuft, im Prinzip der Konkurrenz stellen. Bislang konnte die große Privatisierungswelle jedoch mit Glück und Geschick verhindert werden.

Am 22. April 2010 hatte Umwelt- und Energieminister Jean-Louis Borloo die Neuausschreibung von 51 Konzessionen angekündigt, die 20 Prozent der nationalen Produktion von Energie per Wasserkraft abgedeckten. Doch die konservative Regierung von François Fillon setzte den Plan nicht in die Tat um, sondern lavierte zwischen den ungeduldigen Mahnern aus Brüssel und den entschlossenen Gewerkschaftern der EDF.

Effektiv und umweltfreundlich

Das rief Marc Boudier, den Vorsitzenden des unabhängigen französischen Vereins für Strom und Gas (Afieg), auf den Plan. „Nicolas Sarkozy und François Fillon haben ihr Versprechen gegenüber der Kommission nicht gehalten, die Staudämme für den Wettbewerb zu öffnen und im Gegenzug die staatlich festgelegten Stromtarife beizubehalten“, empörte sich der Chef des bedeutendsten Industrieverbands, in dem auch die französischen Filialen der großen europäischen Stromerzeuger vertreten sind.

Er polemisierte vor allem gegen die sozialistische Umweltministerin Delphine Batho. Die hatte sich in ihrer kurzen Amtszeit (von Juni 2012 bis Juli 2013) gegen den Wettbewerb um die Staudämme ausgesprochen und wollte sogar ein staatliches Wasserkraftunternehmen gründen, wurde aber von ihren neoliberalen Aufsehern sofort zurückgepfiffen. Nach heftigem Protest des damaligen Wirtschaftsministers – und heutigen EU-Wirtschaftskommissars – Pierre Moscovici musste sie ihr ketzerisches Projekt einer teilweisen Wiederverstaatlichung aufgeben und aus der Regierung ausscheiden.

Batho ist heute wieder einfache Abgeordnete. Nach ihrem Austritt aus der Parti socialiste (PS) wurde sie 2018 Vorsitzende der Umweltpartei Génération Ecologie (GE) und rechnete mit sämtlichen Regierungen der letzten 20 Jahre ab: „Frankreich hat noch nicht einmal darum gekämpft, die Wasserkraft unter staatlicher Kontrolle zu behalten, oder jedenfalls viel zu wenig. Der französische Staat hat die Verantwortung stets der EU-Kommission in die Schuhe geschoben, dabei war er es selbst, der die Einhaltung des Sapin-Gesetzes verlangte.“

Dennoch: Die Kommission fordert derzeit die sofortige Neuausschreibung von 30 ausgelaufenen Kraftwerkskonzessionen, die mittels „gleitender“ Fristen verlängert wurden. Am 7. März verschickte Brüssel Mahnbriefe an acht Staaten. Österreich, Frankreich, Deutschland, Polen, Portugal, Schweden, Großbritannien und Italien wurde vorgehalten, gegen die einschlägigen EU-Direktiven zu verstoßen. In dem Brief, der an Paris und Lissabon adressiert war, wurden explizit jene Gesetze moniert, die es gestatten, „einige Wasserkraftwerkskonzessionen ohne Ausschreibungen zu erneuern oder zu verlängern.“

Diese Praktiken, hatte die Kommission bereits im Oktober 2015 befunden, zementierten eine „Chancenungleichheit zwischen wirtschaftlichen Akteuren beim Zugang zu stromproduzierenden Wasserkraftanlagen“ und erlaubten es der EDF, „ihre beherrschende Stellung auf dem französischen Markt für die Stromlieferung an Endkunden beizubehalten oder auszubauen“.

Die zweite Behauptung stimmt längst nicht mehr. „Die EDF verliert jeden Monat 100 000 Kunden an andere Stromanbieter“, sagt Marie-Noëlle Battistel, PS-Abgeordnete für das Département Isère und stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses der Nationalversammlung. Zudem steige der Anteil der erneuerbaren Energien, und in diesem Bereich komme die EDF nur auf 8 bis 10 Prozent der neuen Anlagen.

Battistel hatte schon 2013 im Fazit eines parlamentarischen Reports geschrieben, dass „die Einführung des Konkurrenzprinzips darauf hinausläuft, die Früchte eines Jahrhunderts konsequenter Industrie- und Energiepolitik zu vernichten“. Dabei kritisierte sie insbesondere, das es zu einer so wichtigen Frage im Parlament keine Anhörung oder Debatte gegeben habe: „Unter dem Vorwand einer angeblich unabwendbaren europäischen Gesetzgebung wurde das Thema totgeschwiegen, und das zulasten des Gemeinwohls“.2

Im Januar 2018 schlug Umweltminister Nicolas Hulot der EU-Kommission vor, künftig solle kein Betreiber mehr als zwei Drittel einer Ausschreibungsvolumens erhalten, selbst wenn sein Angebot das billigste auf dem Gesamtmarkt sei. Fabrice Coudour vom Gewerkschaftsbund CGT meint dazu: „Das Ziel war ganz klar, die EDF einzuschränken, denn das Unternehmen bekam die Konzessionen für die meisten Talsperren.“ Das Management des Stromversorgers drückt sich diplomatischer aus, schließlich hält der Staat noch 83 Prozent der EDF-Anteile: „Wir verlangen einen gleichberechtigten Wettbewerb und vor allem, dass die EDF bei der Neuausschreibung seiner eigenen Konzessionen mitkonkurrieren darf“, erklärte Yves Giraud, Leiter der Wasserkraftsparte.

Die Staudämme wurden mit öffentlichen Geldern gebaut, die Investitionen sind seit Jahrzehnten abgeschrieben und es handelt sich um außerordentlich rentable Unternehmen. Das weckt die Begehrlichkeiten französischer und ausländischer Investoren wie Total Direct Énergie, Statkraft und Fortum (ein staatlicher norwegischer und ein halbstaatlicher finnischer Energiekonzern). In dem von Battistel mitverfassten parlamentarischen Bericht heißt es: „Die Wasserkraftwerke erwirtschaften einen Überschuss von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Abzüglich Investitionen und Kapitalzinsen liegt der Gewinn bei etwa 1,25 Milliarden Euro pro Jahr.“

Die Anlagen im Truyère-Tal können die Strommenge zweier AKWs produzieren. Damit gehören sie zu den profitablesten Kraftwerken des Landes. Vom Aussichtspunkt Belvédère du Bousquet schaut man hinab auf die sanften Windungen des Flusses und den Staudamm von Sarrans, den ältesten im Tal. „Als man den Stausee 2014 zwecks Inspektion leerlaufen ließ, stellte sich heraus, dass der Damm seit seiner Inbetriebnahme im Jahre 1934 völlig intakt geblieben ist“, erzählt der EDF-Manager Desaint: „Bei guter Wartung haben solche Bauwerke eine sehr lange Lebensdauer.“

Die Konzession für Sarrans und das damit verbundene Kraftwerk Brommat lief 2012 aus; neun weitere werden zwischen 2021 und 2037 auslaufen. Die Regierung will alle elf zu einem Vertrag bündeln und die Nutzungsrechte für EDF verlängern; im Gegenzug soll sich der Stromversorger zu Investitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro verpflichten.

Das Energiewendegesetz vom 17. August 2015, das die sozialistische Umweltministerin Ségolène ­Royal durchgesetzt hat, erklärt das Prinzip der offenen Konkurrenz zwar für sakrosankt, gestattet unter bestimmten Bedingungen aber auch Konzessionsverlängerungen. Genau dieser Punkt wird Frankreich von Brüssel angekreidet, wobei die Kommission außer Acht lässt, dass die Wasserfläche der Stau­seen vielfältig genutzt wird: als Wasserreservoir, als Rückhaltebecken im Fall von Hochwasser, als Erholungsgebiet sowie als Fischereigewässer. Der wirtschaftliche und soziale Nutzen der Talsperre geht damit weit über die reine Energieversorgung hinaus.

Ein Beispiel: In einer Vereinbarung von 1989 hat sich die EDF verpflichtet, im Sommer stets genügend Wasser in den Fluss Lot zu leiten, in den auch die Truyère mündet. Dank der Abgabe von jährlich 33 Millionen Kubikmetern gehören große Dürren seitdem der Vergangenheit an. Die fünf Départements, durch die der Fluss fließt, zahlen EDF dafür 18,9 Millionen Euro. Eine „lächerliche“ Summe, wie Serge Bladi­nières meint.

Der Kommunalpolitiker ist Vorsitzender eines Verbandes, der bezirksübergreifend für das Wassermanagement an der Lot zuständig ist. „EDF hat unsere Anweisungen, Wasser aus dem Stausee abzulassen, stets befolgt, ohne zusätzliche Bezahlung zu fordern“, berichtet Bladinières. Für den Fall, dass ein privates Versorgungsunternehmen den Staudamm übernimmt, befürchtet er: „Für jede Operation, die nicht im Pflichtenkatalog steht, werden dann Aufschläge verlangt.“

Der Pflichtenkatalog, der vor jeder Ausschreibung erarbeitet wird, hält die Rechte und Pflichten der Betreiber fest. Doch er kann unmöglich alle Eventualfälle abdecken. Selbst wenn der Katalog sehr detailliert abgefasst ist, sind bestimmte Entwicklungen nicht vorhersehbar. Das gilt etwa für die Folgen des Klimawandels.

Badefreuden im Stausee

„Die privaten Anbieter können mithilfe ihrer Heerscharen von Anwälten immer einen Trick finden, um für jede Abweichung vom ursprünglichen Pflichtenkatalog kräftig abzukassieren“, befürchtet auch der Gewerkschafter Frédéric Pinatel von der Bergbau- und Energiesparte des Dachverbands Force Ouvrière. Er verweist auf das Beispiel der Autobahnbetreiber, die durch die spitzfindige Auslegung ihrer Konzes­sions­verträge eine Menge Geld gemacht haben.

Joël Pontier, der Vorsitzende des Gemeindeverbands Matheysine im Dé­parte­ment Isère, verteidigt energisch die Verlängerung des Vertrags für die EDF-Anlagen im Tal des Drac, eines Nebenflusses der Isère. Der Stausee von Monteynard (20 Kilometer südlich von Grenoble) ist ein Treffpunkt für Süßwassersegler aus ganz Europa. Der staatliche Versorger garantiert auch in der Trockenzeit einen hohen Wasserstand. Beim weiter flussaufwärts gelegenen Stauwerk Sautet, dessen Konzession seit 2011 abgelaufen ist, berücksichtigt die EDF ebenfalls die touristischen Belange. Doch auch hier sorgt sich Pontier: „Ein privater Betreiber, dem es nur um den Gewinn geht, würde nicht darauf verzichten, das Hochhalten des Wasserpegels im Sommer in Rechnung zu stellen.“

Im Übrigen basiert das ganze französische System auf der optimalen Abstimmung einer ganzen Kette von Staustufen, die dadurch erleichtert wird, dass in allen Einzugsgebieten (mit Ausnahme der Dordogne) nur ein einziger Betreiber zuständig ist. Bei mehreren Betreibern ist kaum garantiert, dass die Anbieter auch in weniger rentablen Zeiten Strom liefern, dass also die Versorgungsgarantie mehr zählt als finanzielle Interessen.

Die Afieg wischt diesen Einwand vom Tisch: „Alle ans öffentliche Stromnetz angeschlossenen Produzenten sind per Gesetz verpflichtet, ihre gesamte Restleistung zur Verfügung zu stellen. Sie werden also genau wie der bisherige Lizenzinhaber zur Sicherheit der Stromversorgung beitragen.“ Allerdings wird in einem detaillierten Bericht der Gewerkschaft Sud Énergie auf einige Probleme und Störfälle der Vergangenheit hingewiesen. Zum Beispiel auf das Chaos bei der Kühlung des Atomkraftwerks Bugey, das auf Wasser aus dem Fluss Ain angewiesen ist.

2001 musste die EDF, die das AKW betreibt, die Nutzung aller Wasserkraftanlagen der Region an den Stromversorger CNR abtreten, der die Staudämme errichtet hatte. EDF war aber weiterhin auf einen konstanten Wasserdurchfluss zur Kühlung seiner Atomreaktoren angewiesen. „Damals hat CNR mehrfach in den Nächten von Freitag auf Samstag, wenn der Strompreis pro Megawattstunde am niedrigsten ist, den Abfluss vom Staudamm Génis­siat gedrosselt“, berichtet der damalige EDF-Regionaldelegierte Jean Fluchère. Das hatte dann die Abschaltung der Blöcke 2 und 3 des Kernkraftwerks Bugey zur Folge. Erst 2003 erreichte das Staatsunternehmen EDF eine Zusatzklausel zum Konzessionsvertrag, mit der sich CNR zu einem konstanten Abfluss von 140 Kubikmetern pro Sekunde verpflichtet. Allerdings nur gegen Bezahlung.3

Hauptkandidat für den Erwerb der auslaufenden EDF-Konzessionen ist eine Tochter von Engie, dem zweitgrößten Stromerzeuger in Frankreich, 24 Prozent seiner Aktien hält der französische Staat. Bei den Wasserkraftwerken, die SHEM-Engie selbst betreibt, würde das Unternehmen allerdings gern auf Neuausschreibungen verzichten.

Zum Beispiel bei dem Kraftwerk im Tal von Ossau in den Pyrenäen. „In erster Linie geht es darum, den Markt zu öffnen, und nicht darum, den wichtigsten Konkurrenten zu schwächen“, argumentiert Gwénaëlle Huet im Namen des Engie-Managements mit Blick auf den Konkurrenten EDF. Huet hatte der Regierung vorgeschlagen, die 2012 ausgelaufene Konzession zu verlängern; als Gegenleistung wollte SHEM-Engie ein neues Pumpspeicherkraftwerk ­bauen. Vergebens.

Mit dem Verlust der Konzession sei die Zukunft des Unternehmens gefährdet, behauptet Olivier Marfaing, Leiter der 13 Anlagen von Artouste, die unterhalb des gleichnamigen Stausees in 2000 Metern Höhe liegen. Im Ossau-Tal wird ein Drittel des Umsatzes von SHEM erwirtschaftet.

Die Unruhe unter den Beschäftigten ist im gesamten Tal zu spüren. Ein Transparent mit der Parole „Gegen die Öffnung des Markts für Wasserkraft!“ fasst die Stimmung beim Personal wie beim Management gut zusammen. Das Transparent der CGT hängt am Eingang zum Kraftwerk Hourat in Laruns. Vor der Werkstatt empfängt mich eine Minidelegation der Gewerkschaft. „Jetzt läuft gerade wieder eine Sitzung über das Thema Verlängerung, wie jeden Montag in den letzten drei Wochen. Die 45 Mitarbeiter der Werkstatt haben Angst, dass sie versetzt werden“, erklärt der CGT-Vertreter Claude Etchelamendy. Sollte der Betreiber wechseln, würden die Arbeiter, die alle Staustufen von SHEM warten, an einen anderen Standort des Unternehmens wechseln müssen.

Während die französische Regierung die Konzession für das Ossau-Tal nicht verlängern will, kommt sie der Engie-Gruppe an anderer Stelle deutlich entgegen. Zum Beispiel hat sie zugesagt, SHEM-Engie die Konzessionen im Dordogne-Tal unter der Zusage bestimmter Gegenleistungen bis 2048 zu verlängern. Auch im Fall CNR hat die Regierung die Konzession für 18 Talsperren über das Jahr 2023 hinaus bis 2041 verlängert; im Gegenzug will CNR 500 Millionen Euro investieren.4

Das ist ein harter Schlag für den Staatskonzern EDF, der dafür gekämpft hatte, dass parallel zur Verlängerung der CNR-Verträge für die Kraftwerke im Rhône-Tal auch die EDF-Konzessionen für das Truyère-Tal verlängert werden. In einem Schreiben vom 19. Juni 2018 hatte EDF-Generaldirektor Jean-Bernard Lévy den Regierungschef vor dieser Entscheidung gewarnt: „EDF hat bis jetzt die Konzessionen betrieben, die ihm als Ganzes übertragen wurden. Die aktuelle Entwicklung könnte jedoch dazu führen, dass sich das Unternehmen, das wirtschaftlich rational agieren muss, vom Betreiben ausgelaufener oder bald auslaufender Konzessionen verabschiedet, falls der EDF damit ein ökonomischer Schaden entsteht.“

Bogenstaumauer mit Betonkrankheit

Als Beispiel für diejenigen Anlagen, die EDF „einen ökonomischen Schaden“ verursachen könnten, wird häufig das Kraftwerk Chambon an der Romanche im Département Isère genannt. Die Bogenstaumauer der Talsperre leidet an der „Betonkrankheit“ und musste schon des Öfteren repariert werden.

„Dieser Staudamm ist überhaupt nicht rentabel“, räumt Alexandre Grillat ein, Landessekretär der Gewerkschaft der leitenden Angestellten CFE-CGC Énergie. Die Gewerkschaften befürchten, dass einem Plan zur Aufteilung der Wasserkraftwerke als Erstes die unrentabelsten Anlagen zum Opfer fallen, weshalb sie sich dem Rückbau des Staatsbetriebs widersetzen. Zugleich sind sie besorgt über den Zustand überalterter Staudämme, die riesige Wassermassen zurückhalten, die große Städten bedrohen könnten – oder auch Atomkraftwerke.

Das Unternehmen EDF hat zwar im Jahresdurchschnitt 400 Millionen Euro in die Sicherheit seiner Staudämme investiert, war aber in puncto Sicherheit keineswegs immer ein Vorbild. Die Gewerkschaft Sud Énergie hat dokumentiert, wie der Konzern im Gefolge der 1996 verabschiedeten ersten staatlichen Direktive zur Marktliberalisierung seinen Etatposten für Instandhaltungsarbeiten kräftig gekürzt hat.

Mit verheerenden Folgen: Am 29. Januar 2006 brach ein Absperrschieber am Damm von Tuilières, der die Dordogne aufstaut. Durch die herabstürzenden Wassermassen (rund 5 Mill­ionen Kubikmeter) wurde glücklicherweise niemand verletzt. „Allein diese Reparatur hat über die Hälfte des damaligen Wartungsbudgets verschlungen“, erinnert sich Jean-François Astolfi, der damals bei EDF die technischen Abteilung der Wasserkraftsparte leitete.5

EDF betreibt insgesamt 450 Staudämme. „Da merkten wir zum ersten Mal, was eine Kürzung der Budgets bedeutet, wenn wirtschaftliche Gründe mehr zählen als die Belange der Sicherheit“, so Astolfi weiter. Zu seinem Verantwortungsbereich gehörte damals auch der Plan „Super Hydro“, der die Sicherheit der Anlagen wieder in den Mittelpunkt stellen sollte. Die könnte allerdings erneut ins Hintertreffen geraten, wenn ein unbeschränkter Wettbewerb wieder das Rentabibilitätsprinzip zum Maßstab macht.

Bis 2023 werden die Verträge für 150 der von EDF betriebenen Staudämme auslaufen. François de Rugy, Minister für die ökologische und solidarische Wende, will den Markt offenbar vor dem Jahresende 2019 für die Konkurrenz öffnen.6 Doch mit diesem Vorhaben könnte die Regierung – wie bei der Privatisierung der Flughäfen von Paris – im Parlament auf heftigen Widerstand stoßen. Eine Resolution, die der kommunistische Abgeordnete Hubert Wulfranc vorgelegt hat, fordert die Regierung auf, in Verhandlungen mit der EU-Kommission zu erreichen, dass die Wasserkraft vom Wettbewerb ausgenommen wird.

Insgesamt haben 130 Parlamentarier aller Oppositionsfraktionen unterschrieben, darunter einige eigentlich marktliberale Abgeordnete der Partei Les Républicains (LR). Der LR-Abgeordnete Julien Aubert aus der Vaucluse, zugleich Vizegeneralsekretär der LR, stellte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz fest: „Die Lehrmeinung, nach der eine Öffnung des Marktes immer Gutes bewirkt, muss überprüft werden. Es ist wichtig, dass sich das Parlament mit der Frage der Wasserkraft befasst und die Kraftprobe mit Brüssel sucht.“

Es wird sich zeigen, ob der Widerstand der Parlamentarier stark genug ist, um die Industrie und ihre Lob­byis­ten in der EU-Kommission noch zu stoppen.

1 Das CNR-Kapital teilen sich Engie (49,7 Prozent), das staatliche Finanzinstitut Caisse des dépôts (33,2 Prozent) und Gebietskörperschaften (16,8 Prozent). Bei SHEM ist Engie der alleinige Eigentümer.

2 „Rapport d’information sur l’hydroélectricité“, Na­tio­nal­versammlung, Paris, 7. Oktober 2013.

3 CNR ist formell zur Hälfte in öffentlichem Besitz, die Geschäftspolitik bestimmt aber praktisch der Minderheitsaktionär GDF-Suez. Allerdings ist aus ökologischer Sicht die „marktgerechte“ Bezahlung von Kühlwasser logisch und sinnvoll.

4 „Projet de prolongation de la concession du Rhône, synthèse du dossier de concertation“, Ministerium für die ökologische und solidarische Wende, Paris, 19. April 2019.

5 Zitiert im Bericht von Sud Énergie, „Paroles d’expert∙e∙s d’EDF Hydraulique“, 16. Mai 2018, www.sudenergie.org.

6 Debatte im Senat, Paris, 15. Januar 2019.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

David Garcia ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 13.06.2019, von David Garcia