15.01.1999

Manchester United und der Traum vom Global Player

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Manchester United und der Traum vom Global Player

Von NIELS KADRITZKE

VOR fünf Jahren hatte der Journalist Jim White sein denkwürdigstes Old-Trafford-Erlebnis. Auf der VIP-Toilette des berühmten Manchester-United- Stadions geriet er zwischen zwei feinbetuchte Yuppies. „Dieses Jahr machen wir zehn Millionen“, sagte der eine zum anderen, „voriges Jahr waren es nur fünf, obwohl wir den Titel geholt haben.“ Da wußte White, daß er neben Martin Edwards pinkelte, dem Vorsitzenden des Manchester United Football Club.1

Für Edwards sind die Erfolge von United eine lukrative Sache. Der Klub wird seit 1991 an der Börse gehandelt. Da der Vorsitzende 14 Prozent der MU-Aktien besitzt, hat sich sein Privatvermögen in sieben Jahren von 17 auf 170 Millionen Mark aufgestockt. Doch auf seinen größten Coup muß er noch warten. In drei Monaten hofft Edwards um weitere 100 Millionen reicher zu sein – wenn es zu dem Deal kommt, den die meisten englischen Fußballfans befürchten.

Rupert Murdoch, der weltweit erfolgreichste Medienunternehmer, will den weltweit profitabelsten Fußballverein kaufen. Seit August 1998 liegt sein Angebot auf dem Tisch. Der Fernsehsender BSkyB, zu 40 Prozent in Murdoch-Besitz, bietet 1,8 Milliarden Mark. Edwards und sein Direktorium haben schon zugestimmt, bis März soll jetzt die Monopolkommission beim britischen Handelsministerium über den Deal entscheiden. Die Frage lautet, ob ein TV-Sender Alleinbesitzer eines Fußballklubs werden darf, dessen Hauptprodukt – die United-Spiele – er zugleich als Medienware vermarktet.

Die Entscheidung wird nicht nur in England mit Spannung erwartet. Sie wird für den globalen Fußball die zentrale Frage beantworten, ob er zu einem Geschäftszweig der Medienindustrie wird oder sich – trotz aller Kommerzialisierung der letzten Jahre – einen Rest von Autonomie und damit seinen sportlichen Kern bewahrt. Es geht also nicht nur um die Machtergreifung eines neuen Unternehmertyps. Der Fiat-Boß Giovanni Agnelli, der Juventus Turin subventioniert, um einen Abglanz des populärsten italienischen Klubs auf seine Firma zu lenken, der den Algerofranzosen Zidane verpflichtet, um in Marseille und Nordafrika den Fiat-Absatz zu erhöhen, ist heute ein charmanter Anachronismus. Auch die Patrone der Halbwelt und der Schattenwirtschaft, die Olympique Marseille und Atlético Madrid an den Rand des Ruins geführt haben, sind im modernen Fußballgeschäft nur Auslauftypen. Dagegen steht Murdoch für jene unmittelbaren Medieninteressen, die den Fußball in neue kommerzielle Dimensionen entführen wollen. Doch wieso muß Murdoch dazu Eigentümer eines Fußballklubs werden? Und warum ist er ausgerechnet auf Manchester United scharf? Die erste Frage beantwortet sich, wenn man die zweite klärt.

Manchester United erzielte im letzten Geschäftsjahr einen Umsatz von 270 Millionen Mark und über 30 Millionen Mark Gewinn. Der Erfolg basiert auf drei Errungenschaften. Erstens hat man sich ein zahlungskräftiges neues Publikum herangezogen, das in Luxuslogen diniert oder ein „executive package“ kauft, das zusätzlich nach dem Spiel ein überteuertes Essen und zum Dessert eine Talkshow mit einem Reservespieler bietet. Zweitens schröpft man die alten Fans mit neuen Methoden. Das Old Trafford wurde zum Fußball-Disneyland, das auch an Nichtspieltagen satte Umsätze macht: Tausende von Fans zahlen knapp 30 Mark für Stadionführung und Besuch des MU-Museums, um anschließend im „Manchester United Megastore“ geneppt zu werden. Mit den dort verkauften „Merchandising“-Waren erzielt der Klub ein Drittel seiner Umsätze – mehr Geld als die gesamte italienische Liga. Die dritte Einnahmequelle ist der Bereich Medien, also der Verkauf von Fernseh-Übertragungsrechten.

Mit dieser Strategie wird ein Produkt vermarktet, dessen Popularität Martin Edwards bereits vorgefunden hat. United ist seit Jahrzehnten nicht nur der beliebteste Fußballklub in England, sondern auf allen fünf Kontinenten. Daß er auf der Insel 3,3 und weltweit etwa 100 Millionen Anhänger hat, ist historisch eine Folge der Deindustrialisierung des englischen Nordens, die viele Fans in den Süden Englands oder ins britische Commonwealth auswandern ließ, wo ständig neue Fan-Kolonien entstanden. Der englische Fußball hat aber auch die nichtweiße Commonwealth-Bevölkerung so fasziniert, daß die Massenbasis des Klubs heute vom Nahen Osten über Südostasien bis in die Karibik reicht. Einen besonderen Popularitätsschub erfuhr der Klub durch den Mitleideffekt des Jahres 1958: In München stürzte das Flugzeug der „Busby Babies“ in einem Schneesturm ab. Acht Spieler und ein Betreuer waren tot, Trainer Matt Busby überlebte schwer verletzt.

United ist für das Mediengeschäft also nicht nur ein englisches Markenprodukt, sondern ein „global player“. Das macht ihn für Rupert Murdoch interessant, in dessen Marktstrategien der Sport schon immer eine katalytische Rolle spielte. News Corporation, die Mutterfirma des Murdoch-Imperiums, verfügt nicht nur über die Fernsehrechte für die US-Baseball- und Footballigen, sie ist auch Eigentümerin von Basketball- und Baseballvereinen in New York und Los Angeles. Und in England funktionierten die Exklusivrechte von BSkyB-TV an der Premier League als „dish driver“, die einen Nachfrageboom nach Satellitenantennen auslösten.

Mit der Digitalisierung des Satelliten- wie des Kabelfernsehens beginnt nun europa- und weltweit der Endkampf um den Telekommunikationsmarkt der Zukunft. Als lukrativste Form, dem Fernsehpublikum in die Tasche zu greifen, gilt das Pay-TV. Für dieses Marktsegment gilt laut The Economist die Faustregel: „Wer die Fußballrechte gewinnt, dürfte auch den Kampf um das Pay-TV gewinnen.“2 Dieser Kampf wird auf drei Ebenen geführt, und auf allen dreien könnte United für Murdoch zur Geheimwaffe werden.

Balljongleur auf drei Spielfeldern

AUF dem englischen Markt hätte er als MU-Besitzer beste Chancen, nach 2001 erneut die Fernsehrechte für die Premier League zu kaufen, denn er würde bei den Verhandlungen an beiden Seiten des Tisches sitzen. Zudem könnte er die Entwicklung zum pay per play-Fernsehen vorantreiben: Seit Jahren überträgt das vereinseigene MU-TV die United-Heimspiele gratis in die örtlichen Krankenhäuser und Altersheime. Murdoch könnte diese karitative Leistung kommerzialisieren und MU-TV zu einem landesweiten pay per play-Kanal ausbauen.

Auch auf europäischer Ebene hätte Murdochs neugegründete News Corporation Europe gute Karten. Unter dem Druck von sechzehn „Megaklubs“ hat der europäische Fußballverband Uefa im November 1998 eine „Super-Champions- Liga“ beschlossen, die sich als idealer Marktplatz für das pay per play-TV anbietet. Auch bei der Konkurrenz um diese lukrativen Rechte hätte Murdoch mit Manchester United den entscheidenden Trumpf im Ärmel.

Das gilt erst recht für die dritte Ebene. Für Murdochs globale Ambitionen spielt Asien eine herausragende Rolle, zumal Japan und Süd-Korea 2002 die „asiatische“ Fußball-WM ausrichten. „Wenn Murdoch United besitzt und dessen Spiele von seinem in Hongkong angesiedelten Star TV live übertragen läßt, werden die Satellitenschüsseln denselben Boom erleben wie im England der frühen neunziger Jahre“, prophezeit das Wall Street Journal3 . Mit seiner Beteiligung an Phoenix Satellite TV hat Murdoch in der reichen Südprovinz Guangdong das erste Kabelprogramm gestartet. Nun soll vor allem der englische Fußball dafür sorgen, daß die Chinesen nach Murdochs Mattscheibenangebot süchtig werden. Deshalb dürfte der größte Ehrgeiz des Medienmoguls heute darin bestehen, Manchester United auch im volkreichsten Staat der Welt zum populärsten Fußballklub zu machen.

Sind Murdochs Pläne noch aufzuhalten? Umfragen zeigen, daß sich die englischen Fans überwiegend gegen den Ausverkauf an Murdoch aussprechen. Sie betrachten Fußball noch immer als „our game“, das sie nicht der Shareholder- Logik der Medienindustrie ausliefern wollen, denn die könnte am Ende sogar Regeländerungen erzwingen (z.B. „Auszeiten“ für mehr Werbespots) oder sportliche Entscheidungen usurpieren (z.B. die Aufstellung eines medienwirksamen Spielers entgegen den taktischen Überlegungen des Trainers). Doch die Fans sind eine labile Größe. Wenn Murdoch ihnen verspricht, die besten Spieler einzukaufen, und wenn er ihnen die Siege ihres „dream team“ als digitale Show ins Wohnzimmer liefert, könnten sie am Ende am lautesten „Hosianna“ schreien.

Murdochs Supergeschäft ist rechtlich nur noch durch die Labour-Regierung aufzuhalten. Formell liegt die Entscheidung bei der Monopolkommission im Handelsministerium. Da „New Labour“ mit Rückendeckung der Murdoch-Zeitungen gewählt wurde, steht die Partei vor der Frage, ob sie es sich leisten kann, ihren Gönner unnötig zu provozieren. Doch da die Sun als Murdochs Flaggschiff inzwischen volle Breitseiten auf die Blair- Regierung abfeuert, seit diese erkennbar auf die Euro-Zone zusteuert, könnten die Labour-Strategen versucht sein, Murdochs populistische Blätter mit populistischen Mitteln anzugreifen. Als idealer Schlachtruf würde sich die Parole „Hände weg von United“ anbieten. Wenn die „New Labour“-Leute sich ein Herz fassen würden, hätten sie damit zugleich verhindert, daß Fußball zur Beute der Medienindustrie und Martin Edwards um 100 Millionen Mark reicher wird.

Fußnoten: 1 Jim White, „Are you watching, Liverpool?“ London (Mandarin Paperbacks) 1995, S. 39. 2 The Economist vom 28. November 1998, S. 76. 3 Wall Street Journal vom 7. September 1998.

Le Monde diplomatique vom 15.01.1999, von NIELS KADRITZKE