15.01.1999

Nationale Sicherheitsagentur für die eigenen Bürger

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Nationale Sicherheitsagentur für die eigenen Bürger

Von PATRICK POOLE *

BEREITS im Jahre 1947 schlossen die Vereinigten Staaten und Großbritannien ein Kooperationsabkommen über nachrichtendienstliche Aktivitäten, das man als politisch-diplomatischen Prototyp des heutigen Echelon-Projekts sehen kann. Dieses bis heute geheime Abkommen mit dem Namen UKUSA (= UK und USA) war aus der nachrichtendienstlichen Allianz erwachsen, die beide Länder in der Frühphase des Zweiten Weltkrieges vereinbart und am 17. Mai 1943 ratifiziert hatten. Der britische Partner, das GCHQ (Government Communications Headquarters) unterzeichnete das bilaterale Abkommen auch im Namen des Commonwealth. Damit waren das australische DSD (Defence Signals Directorate), das kanadische CSE (Communications Security Establishment) und das neuseeländische GCSB (Government Communications Security Bureau) ebenfalls in die Vereinbarung eingebunden.1

Diese Länder sind zwar sowohl (durch zusätzliche direkte Vereinbarungen) mit den USA als auch untereinander verkoppelt, doch innerhalb des britisch- amerikanischen Abkommens gelten sie als „Parteien zweiten Grades“. Außerdem gibt es heute noch eine dritte Gruppe, zu der u.a. Deutschland, Japan, Norwegen, Süd-Korea und die Türkei gehören. Glaubt man gewissen Quellen, ist auch China eingebunden.2

Heute ist die US-amerikanische National Security Agency (NSA), die auch offiziell als „erster Vertragspartner“ firmiert, die maßgebliche Agentur und treibende Kraft innerhalb der britisch-amerikanischen Allianz. Sie bringt nicht nur den Großteil der Gelder für gemeinsame Projekte und Einrichtungen auf, sie stellt auch die Leitungsebene für die nachrichtendienstlichen Operationen. Die beteiligten Dienste pflegen einen regelmäßigen Personalaustausch, sie haben sich auf eine nachrichtendienstliche Arbeitsteilung geeinigt und gemeinsame Richtlinien beschlossen, was die Geheimhaltung und den Schutz der geteilten Informationen betrifft. Im Rahmen dieser kollegialen Kooperation nutzt freilich die NSA ihre Position als größte nachrichtendienstliche Organisation dazu aus, ihre internationalen Partner nach der amerikanischen Pfeife tanzen zu lassen.

Die NSA wurde 1952 von Präsident Harry Truman per präsidialer Verfügung gegründet, die bis heute der Geheimhaltung unterliegt und deren Existenz bis 1957 von der US-Regierung sogar glatt geleugnet wurde. Die Aufgabe der NSA bestand ursprünglich darin, den Funkverkehr zu überwachen (Sigint: signal intelligence) und die Sicherheit der Kommunikationswege zu gewährleisten (Comsec: communications security). Unter Präsident Ronald Reagan kamen zwei weitere Aufgaben hinzu: Garantie der Sicherheit der Informationssysteme (1984) und die Agentenausbildung (1988). Ein Gesetz von 1986 übertrug der NSA auch die Aufgabe, die Kampfeinsätze von Agenten zu unterstützen, die im Auftrag des US-Verteidigungsministerums operieren.3

Die NSA hat ihr Hauptquartier in Fort George Meade (zwischen Washington DC und Baltimore) und verfügt über das kompletteste nachrichtendienstliche Arsenal und das bestausgebildete Personal der Welt. Außerdem ist sie die Organisation, die weltweit die meisten Mathematiker beschäftigt und die besten Teams von Spezialisten zusammenbringt, die sich mit dem Erfinden und Knacken von geheimdienstlichen Codes beschäftigen. Code-Knacken heißt dabei, die Verschlüsselungstechniken ausländischer und einheimischer elektronischer Kommunikationsnetze zu entschlüsseln und die herausgefilterten Botschaften zur Begutachtung an ein riesiges Team erfahrener Linguisten weiterzuleiten, die sie in über hundert Sprachen analysieren. Außerdem hat die NSA die Aufgabe, Verschlüsselungscodes zu erarbeiten, um die gesamte Kommunikation der US- Regierung zu schützen.4

Seit ihrer Gründung diente die Spionagekapazität der NSA häufig auch dazu, die Aktivitäten einer ahnungslosen Öffentlichkeit zu überwachen. 1945 lief das Projekt Shamrock an, das darauf angelegt war, der Regierung von allen telegrafisch übermittelten Informationen – nach und in die USA – Kopien zu verschaffen. Unter voller Kooperation der großen telegraphischen Unternehmen wurden der Vorläuferorganisation der NSA – und später der NSA selbst – tagtäglich die Mikrofilm-Kopien aller ankommenden, abgehenden und transitorisch übermittelten Telegramme bzw. Fernschreiben geliefert. Zur Blütezeit des Projekts Shamrock wurden monatlich 150000 Botschaften ausgedruckt und analysiert.5

Doch im Mai 1975 ließ NSA-Direktor Lew Allen das Projekt plötzlich stoppen. Im amerikanischen Kongreß begannen kritische Senatoren den Schleier der Geheimhaltung zu zerreißen, der das Projekt bis dahin umgeben hatte. Allen und die Vertreter der Telegrafengesellschaften machten bei den Hearings im Senat Enthüllungen, die den Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses dazu brachten, das Projekt Shamrock als das „wahrscheinlich größte Abhörprogramm einer Regierung zu Lasten der Amerikaner“ zu bezeichnen.6

Im Rahmen des parallel laufenden Projekts Minaret hatten NSA, CIA und FBI seit 1967 „watch lists“ (Beobachtungslisten) von Personen angefertigt, die „subversiver“ innenpolitischer Aktivitäten verdächtigt wurden und zu denen so berühmte Namen wie Martin Luther King, Malcolm X, Jane Fonda und Joan Baez gehörten.

Das Projekt Minaret wurde 1973 durch eine Entscheidung des Supreme Court gestoppt, die wie folgt argumentierte: Der Präsident sei zwar befugt, das Land vor jeder Aktivitität zu schützen, die auf den Sturz der Regierung abziele, diese Macht erstrecke sich aber nicht auf die elektronische Überwachung inländischer Organisationen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 5925 Ausländer und 1690 Organisationen und US-amerikanische Bürger auf die „watch lists“ des Projekts Minaret geraten. 1975 sagte Lew Allen aus, die NSA habe mehr als 3900 geheimdienstliche Berichte über US-Bürger angefertigt. Darüber hinaus hatte das Office of Security Services der NSA zwischen 1952 und 1974 Aktenmaterial über mindestens 75000 Amerikaner gesammelt.7

Angesichts dieser erbaulichen Reminiszenz an die innenpolitischen Aktivitäten der NSA und der CIA läßt sich viel besser ermessen, wie das Echelon- System dazu beiträgt, die grundlegenden Freiheitsrechte sowohl in den USA als auch in der übrigen Welt zu unterminieren.

dt. Niels Kadritzke

* Patrick Poole ist Stellvertretender Direktor des Center for Technology Policy in Washington DC.

Fußnoten: 1 Der Autor hat die zusammenfassenden Resultate seiner Forschungen 1988 an den US-Kongreß übermittelt: „Echelon: America's Secret Global Surveillance Netword“, The Privacy Papers, No. 4, November 1988, Free Congress Research and Education Foundation, Washington DC. Der Text ist im Internet unter der Adresse http:// www.freecongress.org/ctp/echelon.html abrufbar. 2 Duncan Campbell, „They've got it taped“, New Statesman (London) vom 12. August 1988. Siehe auch: ders., „Vollelektronische Bespitzelung“, Index on Censorship, die tageszeitung, 10. Oktober 1998. 3 Auf ihrer Internet-Site (http://www.nsa.gov:8080/about) behauptet die NSA, sie sei sehr an Umweltfragen interessiert, habe ein großes Recycling-Programm entwickelt und engagiere sich bei Blutspendeaktionen in der Region. 4 Siehe die angegebene Internet-Site mit dem Titel „About NSA“. 5 James Bamford, „The Puzzle Palace: Inside the National Security Agency, America's Most Secret Intelligence Organization“, New York (Penguin Books) 1983. 6 External Collection Program, US Senate Selecte Committee on Intelligence, Supplementary Detailed Staff Reports on Intelligence and the Rights of Americans vom 23. April 1976. 7 Siehe James Bamford, a. a. O. (Anmerkung 5).

Le Monde diplomatique vom 15.01.1999, von PATRICK POOLE