07.05.2015

Bewegte Jugend

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Bewegte Jugend

Protest und Musik in Senegal von Jacques Denis

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Freitag, der 13. Februar, um 16 Uhr in der Universität Cheikh-Anta-Diop in Dakar: Alle sind eingeladen zu beten, um im Anschluss Senegals Nationalhymne zu singen – es ist das erprobte Ritual vor jeder Veranstaltung der populären Jugendbewegung „Y en a marre“ (Wir haben die Nase voll, kurz: Yeam).

Unter einem weißen Zeltdach diskutieren Studierende und Dozenten an diesem Tag über die Demos, die seit dem Tod des jungen Studenten Abdou im vergangenen August auf dem riesigen Campus für Unruhe sorgen. Damals hatten viele Studierende bereits seit mehreren Monaten für bessere Studienbedingungen und die Auszahlung ihrer Stipendien gestreikt. Großen Unmut erregte auch die starke Polizeipräsenz auf dem Unigelände. Es hatte bereits Verletzte gegeben, als bei einer Razzia im Studentenwohnheim Abdou Bassirou Faye von zwei Polizisten erschossen wurde. Seitdem kommt es immer wieder zu gewaltsamen Ausbrüchen.

„Wir müssen unsere Aktionsformen ändern“, sagt Philosophieprofessor Babacar Mbaye Diop. Der Dreißigjährige war schon bei den Studentenprotesten der 2000er Jahre dabei. An diesem Freitag sitzt er mit auf dem Podium. Bevor das Publikum seine Fragen stellen kann, übernehmen fünf Rapper von der HipHop-Band Campus 2H die Mikrofone. Auf ihren T-Shirts prangt das Yeam-Logo. „Wir sprechen über die Situation, aber nach unserer Fasson …“ Ihre bissigen Punchlines werden mit rhythmischen Ausrufen kommentiert.

Die erklärtermaßen gewaltlose Jugendbewegung Yeam, die in der HipHop-Szene entstand, trat bei der Präsidentschaftswahl von 2012 erstmals ins Rampenlicht. Damals versuchte sie die jungen Leute aus den Vorstädten zu animieren, zur Wahl zu gehen, um „Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen“. Das Land brauche einen „neuen Typ Senegalesen“ – als das Fundament einer „Republik der Bürger“ – appellierte Yeam damals in seinem Manifest an die Jugend.

Die Bewegung entstand 2011, kurz nachdem am 15. Januar in Tunesien Diktator Ben Ali gestürzt worden war. „Auf einmal schien alles möglich“, erinnert sich der Mitbegründer von Yeam, Fadel Barro. Ihren ersten Erfolg erzielten die Aktivisten am 23. Juni 2011, als der damalige Präsident Abdoulaye Wade nach tagelangen Demonstrationen seine umstrittene Verfassungsreform zurückzog, die in den Augen der Bevölkerung nur für seinen Sohn Karim gemacht worden war. „Diese Aktion war ein Kampf für die Freiheit. Wenn die Welt hohl klingt, dann muss man auf ihr herumtrommeln, damit sie wieder in Schwingung gerät. Genau das macht Yeam: unser Denken aufwecken, unser Bewusstsein wachrütteln“, schwärmt der Journalist Soro Diop.

Yeam-Gründer Barro trägt die gleiche gemusterte Mütze wie einst Amílcar Cabral, der 1973 ermordete Widerstandskämpfer gegen die portugiesische Kolonialmacht in Guinea-Bissau und auf den Kapverden. Cabrals traditionelle Kappe wurde zum Symbol für den Mut und das Engagement des Freiheitshelden und Agrarwissenschaftlers. „Sobald er ein Stück Land erobert hatte, baute Cabral dort eine Gesundheitsstation und eine Schule auf. Für uns ist er ein Vorbild! Aber Vorsicht, wir sind weder Marxisten noch Liberale. Wir sind einfach auf der Suche nach Menschen, die diese Hoffnung weitertragen. Wir müssen ihre Ideen an unsere Realität anpassen. Die Linke ist in Afrika gescheitert, weil sie nicht vor Ort war.“

Barros Sendungsbewusstsein führte ihn im März auch nach Kinshasa, wo er mit Aktivisten von der burkinischen Demokratiebewegung „Le Balai citoyen“ (Der Bürgerbesen) kongolesische Jugendgruppen treffen wollte, die auch ihrem Präsidenten Machtmissbrauch vorwerfen – nicht zu Unrecht, wie ihre Verhaftung und anschließende Ausweisung gezeigt hat.

Zu den Prinzipien von Yeam gehört auch, dass man sich von der offiziellen Parteipolitik fernhält. Kritiker werfen ihr deshalb vor, sie sei schwer einzuordnen. Ihnen hält Barro entgegen, man arbeite eben nicht an der Oberfläche. „Ich denke, es gibt Zeiten der zersetzenden Kritik und Zeiten des Wiederaufbaus. Bei den nächsten Wahlen werden wir uns keinem politischen Lager anschließen, sondern getreu unserer Leitlinie versuchen, die Politiker an uns zu binden, die zu uns passen. Wir haben schon eine Vorstellung von unserem Wunschabgeordneten: jemand, der sich nicht nach den Vorgaben seiner Partei, sondern nach den Bedürfnissen des Volkes richtet. Wir sind ein UFO in der politischen Sphäre: Wir passen weder in die klassischen Institutionen der Zivilgesellschaft noch in eine politische Partei.“

In diese angespannte Situation fiel der Korruptionsprozess gegen Karim Wade. Dem unbeliebten Sohn von Expräsident Wade wurde in einem spektakulären Prozess vorgeworfen, er habe in seiner Zeit als Minister unter der Regierung seines Vaters illegal Unternehmen und Grundbesitz im dreistelligen Millionenwert erworben. Am 23. März fiel das Urteil: sechs Jahre Haft und eine Geldstrafe von rund 210 Millionen Euro.

Auch der neue Präsident Macky Sall hat bislang nicht wirklich für einen Wandel gesorgt. Im Yeam-Büro in Barros alter Dreizimmerwohnung, weit entfernt vom Stadtzentrum, überwiegt auch die Skepsis. „Unsere Bewegung war eher gegen den ‚Alten‘ als für seinen Rivalen. Wir sind die Aufpasser für die Leute aus den Vorstädten. Unsere Basis ist die Straße“, erklärt Pidi Nef, einer der Rapper der Gruppe Fuk’n’Kuk, die ebenfalls zu Yeam gehört. An der Wand hängen Fotos von den großen Demos 2011, von den Aufräumarbeiten nach der letzten großen Überschwemmung, die jedes Jahr Dakars Vorstädte heimsucht, und von einem Treffen mit Barack Obama bei seinem Senegalbesuch im Juni 2013.

Almamy Talla, bekannt unter dem Spitznamen „Fou malade“, hat sich der „guten Sache“ von Yeam früh angeschlossen. Heute ist er ihr künstlerischer Leiter. Nach Meinung des Rappers, der seit den 1990er Jahren mit der Gruppe Bat’Haillons Blin-D bekannt wurde, „darf man das Feld nicht den Politikern überlassen. Sie stellen nicht die Mehrheit. Wir müssen eine kritische Masse bilden, um Druck ausüben zu können.“ Die Aktivisten wollen der Bevölkerung erklären, wie politische Entscheidungen gefällt werden, aber auch den Alltag verändern, vor allem in den abgehängten Vierteln.

Die Zahl der Yeam-Ortsvereine wird in ganz Senegal auf vierhundert geschätzt. Neue Antworten finden, die Menschen in die Suche nach dem Gemeinwohl einbeziehen – darum geht es auch in dem Club G Hip Hop, einem Kulturzentrum in der dicht besiedelten berüchtigten Vorstadt Guédiawaye. Es ist der Treffpunkt junger Yeam-Aktivisten, ihr Slogan: „Wir wollen keine Last sein, sondern ein Mittel.“ Das Motto leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass 60 Prozent der Arbeitslosen zwischen 15 und 34 Jahre alt sind (bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent).

Gegenüber dem alten Stadion ha-ben sie erst ganz allein eine alte Mülldeponie geräumt. Dann haben sie Sponsoren gesucht und die Baufirma Eiffage gefunden, die für mehr als 30 Millionen CFA-Franc (450 000 Euro) ein Kulturzentrum errichtet hat: eine offene Bühne, ein kleines Aufnahmestudio und eine Bar, wo sie Kochkurse anbieten wollen. Die Aktivisten haben auch begonnen, Mülleimer aus alten Reifen zu basteln und in den umliegenden Straßen aufzustellen.

„Wir haben in allen 14 Regionen des Landes Beobachter für gute Regierungsführung. Die Idee dahinter ist, wieder eine Verbindung herzustellen zwischen Politik und Bürgern.“ Talla kümmert sich außerdem um die Resozialisierung von jugendlichen Straftätern. Der engagierte Rapper hatte Barro im März auch nach Kinshasa begleitet, wo ihr Treffen mit kongolesischen Jugendgruppen auf das Missfallen Präsident Kabilas stieß.

Seit mehr als 20 Jahren ist der senegalesische HipHop das Sprachrohr all jener, die vom herrschenden Clansystem ausgeschlossen sind: von Didier Awadis Album „Un autre monde est possible“ (Eine andere Welt ist möglich; siehe Spalte links) bis zu „L’Opinion publique“ (Die öffentliche Meinung) der Band Keur Gui, deren Leadsänger Thiat zu den Gründern von Yeam zählt.

„Einer wie Macky Sall hat inzwischen mehr Angst vor den HipHoppern als vor den gegnerischen Parteien. Die Veränderung kann nur von unten kommen“, sagt Rapper Matador, der zwar kein Mitglied ist, aber Yeam unterstützt. 2006 gründete er den Verein Africulturban mit angeschlossenem Kulturzentrum, das sich der HipHop-Kultur widmet und Weiterbildungskurse für Jugendliche in Pikine, einem armen Vorort von Dakar, anbietet.

Im ganzen Land soll es mehr als 3 000 Rapgruppen geben, die „Künstleraktivisten“ anziehen, wie Amadou Fall Ba es nennt. Er ist Matadors Kompagnon und organisiert das Festa2H, eines der größten HipHop-Festivals in Afrika. „Wir haben unsere eigenen Personalressourcen, die Jugendlichen aus den Vorstädten. Wir müssen alles selbst aufbauen: Es gibt hier keine Unis, obwohl zwischen Pikine und Guédiawaye zwei Millionen Menschen leben! Ihr Alltag ist bestimmt von Massenarbeitslosigkeit und Unsicherheit.“

Trotz hoher Erwartungen und begrenzter Möglichkeiten bezeichnen sich alle als „Yenamarristen“. „Revolution ist Luxus“, meint Amadou Fall Ba, „und ich bin mir nicht sicher, ob wir sie uns leisten können. Dafür man braucht ein gewisses Bildungsniveau. Und es ist ja auch nicht unsere Aufgabe, das Land zu regieren. Wir setzen lediglich kleine Nadelstiche der Erinnerung, wenn die Politiker lieber vergessen wollen. Aber man soll sich auch nichts vormachen: Die meisten Rapper haben weder ein Buch von Frantz Fanon noch von Machiavelli gelesen.“

Trotzdem hat Yeam Einfluss auf das politische Leben im Senegal und inspiriert die Jugend in der westafrikanischen Nachbarschaft, von der Elfenbeinküste über Togo, wo sich gerade die Bewegung „Etiamé“ etabliert, bis zu Malis „Sofas de la République“ (Republiksofas), Gabuns „Y en a marre comme ça“ (So wie es ist, haben wir die Nase voll davon), Mauretaniens „Touche pas ma nationalité“ (Finger weg von meiner Staatsbürgerschaft) und vor allem Burkina Fasos „Le Balai citoyen“ (Der Bürgerbesen, siehe nebenstehenden Artikel), mit dessen Hilfe der umstrittene Präsident Compaoré aus dem Land gejagt wurde.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski Jacques Denis ist Journalist.

Le Patrimoine

[…) Encore une fois mon stylo pleure à l’instar de l’encre une industrie se meurt,

une mort violence, subite, gérée par nos dirigeants voleurs, vils vilains voleurs,

voulant voler nos dernières gouttes de sueur.

Voilà le visage sombre et lugubre de l’Afrique à cette heure,

seconde après seconde, minute après minute, heures après heures.

L’Afrique se meurt tuée, tuée, pillée par nos dirigeants collaborateurs.

C’est le seul mot pour qualifier ces adorateurs de Satan.

Pourquoi vider notre sang, se comporter si avidement?

Confondre intérêt personnel et national, c’est décevant.

Je suis déçu, dessous le seuil sinistre de la pauvreté, c’est indécent,

ils vendent le pétrole du Congo aux néocolons qui organisent nos guerres, afin de mieux gérer le filon.

Au Sénégal, ils vendent l’eau, la télécom, le courant, t’es au courant, c’est courant.

Notre économie tu peux la comparer à un vieil homme mourant,

tué par les mains de ses héritiers qui s’entretueront pour l’héritage.

Et qui te feront croire que c’est pour le bien de la famille, du clan. […]

Das Erbe

Wieder weint meine Feder, wie die Tinte versiegen urplötzlich Industrien

durch die gewaltsame Hand unserer Führer – diese Diebe,

diese dreisten, durchtriebenen Diebe, die noch am letzten Tropfen unseres Schweißes verdienen,

Sekunde um Sekunde, Minute um Minute, Stunde um Stunde.

Das ist das Gesicht Afrikas, traurig und finster.

Afrika geht zugrunde, ausgeplündert von unseren Staatschefs, diesen Kollaborateuren.

Denn das ist das einzig passende Wort für diese Anbeter Satans.

Warum vergießen sie unser Blut, warum gieren sie nach unserm Gut?

Sie denken nur an sich statt im Namen des Staats. Wie enttäuschend.

Ich bin enttäuscht, lebe unter der Armutsschwelle. Das ist unanständig.

Sie verkaufen Kongos Öl an die neuen Kolonialherrn,

die unsere Kriege verwalten, um die Goldgrube besser auszubeuten.

In Senegal verkaufen sie das Wasser, die Telekom, den Strom, du weißt es schon. Es ist der übliche Sermon.

Unsere Wirtschaft ist wie ein alter sterbender Mann, eigenhändig umgebracht vom eigenen Clan.

Alle wollen an sein Erbe ran, töten sich gegenseitig irgendwann.

Und dir erzählen sie dann, es sei zum Besten der Familie: ist doch unser Clan.

Didier Awadi

Übersetzung: Sabine Jainski Didier Awadi, 1969 in Dakar geboren, hat bereits als Schüler Rap- und Breakdance-Festivals organisiert. 1989 gründete er mit Amadou Barry alias King MC de Doug E Tee die Band Positive Black Soul (PBS). „Le Patrimoine“ (der komplette Song ist auf YouTube abrufbar) ist 2005 auf Awadis zweitem Soloalbum „Un autre monde est possible“ („Eine andere Welt ist möglich“) erschienen.

Le Monde diplomatique vom 07.05.2015, von Jacques Denis