11.04.2003

Die Wüste braucht den Westen nicht

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Die Wüste braucht den Westen nicht

„Für die Bewohner der afrikanischen Wüsten, die ein schwieriges Leben haben“, lautet die Widmung des Fotobandes „Désert, l‘homme sans l‘occident“ (Wüste, der Mann ohne Westen) des französischen Filmemachers und Fotografen Raymond Depardon. Glanz und Elend Afrikas und das Leben in der Wüste haben den Mitbegründer der Fotoagentur Gamma Depardon in vielen Fotoarbeiten und Filmen („Afriques: Comment ça va avec la douleur?“ und „La captive du désert“) beschäftigt. Depardon ist Nomade. Eines Tages stieß er auf den Roman „Sahara, L‘homme sans l‘occident“, (1922) in dem sich Diego Brosset, ein französischer Kolonialoffizier, an die Stelle des „Anderen“ versetzt. Dieser andere, ein Junge, ist ein Jäger und bis zur bewaffneten Konfrontation mit dem Kolonialoffizier nie mit dem Westen in Berührung gekommen.

Depardon nimmt die Geschichte von Brosset, transponiert sie in das Afrika von heute und erzählt sie in Bildern von heute – die Geschichte von Alifa, dem Jungen, der von Jägern, die seine Eltern töteten, aufgegriffen wird und in einer fremden Gemeinschaft aufwächst. Alifa ist frei, bindungslos, anders. Akzeptiert, ja unentbehrlich wird er, als er den Westler, den Weißen, besiegt, den Fremden, der ihm die Erde rauben will, von der er lebt.

Die Menschen in der Wüste sind Nomaden. Auf der Flucht vor dem Westen ziehen sie sich in die Wüste zurück, ihr Land, wo der Weiße nicht überleben kann. Vielleicht ist Brosset Alifa damals wirklich begegnet. Der Film und der gleichnamige Fotoband, aus dem die Bilder dieser Seiten entnommen sind und der letztes Jahr in Frankreich bei Editions du Seuil (Paris) erschien, zeigen Alifas, denen man heute begegnen kann. Das Land, die Tiere und die Menschen, die Depardon uns zeigt, sind einmal nicht das Land der Hungersnot und des Krieges. Die Wüste braucht den Westen nicht.

Der Film wird hoffentlich bald in deutschen Kinos anlaufen.                             M. L. K.

Le Monde diplomatique vom 11.04.2003, von M. L. K.