14.05.2004

Nur in Paris

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Nur in Paris

ALS der Le-Monde-Gründer Huber Beuve-Mery im Mai 1954 Le Monde diplomatique aus der Taufe hob, entschied er sich bei der neuen Zeitschrift gegen die wohleingeführte (aber an die Zeit der Vichy-Regierung erinnernde) Fraktur-Titelschrift von Le Monde. Es gab noch einen weiteren Unterschied: Das Blatt sollte (anders als Le Monde) von keiner Regierung finanzielle Unterstützung erhalten. Le Monde diplomatique wollte keine Zeitung für Diplomaten sein, sondern die „Zeitung der diplomatischen Kreise und der Großen Internationalen Organisationen“ wie es in der Titel-Unterzeile hieß. Man betonte die Unabhängigkeit vom Außenministerium am Quai d’Orsay. Doch: „Nur in Paris“ konnte nach Meinung der Redaktion eine solche Zeitung erscheinen, wie sie „An unsere Leser“ schrieb. Und natürlich nur auf Französisch: Zwar habe die Sprache, die einstmals die Lingua franca des Adels und der Diplomatie gewesen war, in den letzten Jahren ihre Monopolstellung in diplomatischen Kreisen eingebüßt, doch sei sie nach wie vor die verbreitetste.

Als weitere Neuerung gab es nun im Hause Le Monde erstmals Fotos auf der Titelseite. Sie inszenierten internationales Flair: König Hussein von Jordanien mit der frisch angetrauten Prinzessin Dina, der neue britische Botschafter, Kennedy und Jacqueline Onassis, der Literatur-Nobelpreisträger Saint-John Perse. Zudem gab es damals durchaus auch praktische Tipps, mit denen sich die Zeitung als Organ des Höheren Dienstes profilierte: Seite 8 der ersten Ausgabe enthielt neben einem Porträt von Alexandra Kollontai, der ersten Botschafterin der Welt (in Frankreich waren Frauen erst seit neun Jahren wahlberechtigt), auch einen Ratgeberteil: über Bridgeprobleme und Fragen der abendlichen Kleiderordnung. Der Zielgruppe gemäß wurde geworben – für Cartier, Hermès und (noch 1979) für feinste Krokohandtaschen, was unter den heutigen Abonnenten der Zeitung wahrscheinlich eine Kündigungswelle auslösen würde.

Die Zeiten veränderten sich, das Blatt wandelte sich, Le Monde diplomatique (1954: 8 Seiten, 1979: 36 Seiten) solidarisierte sich mit dem Widerstand gegen die Kolonialmächte, unterstützte die Entkolonialisierung, begleitete die Blockfreien-Bewegung und die Konsolidierungsphase der neu gegründeten Staaten. Entwicklungshelfer gehörten zur festen Leserschaft. In Frankreich genoss die Zeitung mit ihrem internationalistischen Blick hohes Ansehen. Nach 1989 rückte die neoliberale Globalisierung ins Zentrum der Analysen. Längst ist die alte Diplomatie in französischer Sprache durch eine neue Diplomatie ersetzt: Le Monde diplomatique erscheint heute, im 50. Jahr ihres Bestehens, weltweit, und zwar in 17 Sprachen.

Am 8. Mai fand zum Jubiläum in Paris die Veranstaltung „Stimmen des Widerstandes“ statt. Abgedruckt haben wir zwei der Beiträge (Seite 3 und Seite 21).

Redaktion Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 14.05.2004