08.10.2004

Opiumkriege

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Opiumkriege

ZWISCHEN 1839 und 1860 wurde China mit Waffengewalt gezwungen, sich dem internationalen Handel zu öffnen, zuerst von England allein (erster Opiumkrieg, 1839–1842), dann in gemeinsamer Aktion mit Frankreich (zweiter Opiumkrieg, 1858–1860). Zuvor hatte das Reich der Mitte seinen Außenhandel über kleine Kontore in Kanton abgewickelt, wo die ausländischen, hauptsächlich britischen Kaufleute nur mit einer offiziellen Gilde einheimischer Partner handeln durften.

England kaufte riesige Mengen Tee, der damals nur in China produziert wurde. 1720 waren es 12 700 Tonnen, 1830 bereits 360 000 Tonnen. Doch zu Beginn der 1820er-Jahre schlug die positive chinesische Handelsbilanz wegen der massiven Ausweitung des Schleichhandels mit Opium, das von britischen und US-amerikanischen Kaufleuten nach China eingeschleust wurde, ins Negative um. Die Droge war verboten, erfreute sich aber seit der Etablierung der Mandschu-Dynastie in Peking (1644) großer Popularität. England war fest entschlossen, den geringsten Vorwand zu nutzen, um die uneingeschränkte Öffnung des chinesischen Territoriums nicht nur für Opium, sondern auch für Baumwollprodukte aus Lancashire und Eisenwaren aus Birmingham zu erzwingen. Als der kaiserliche Kommissar Lin Zexu im Juni 1839 massenhaft Kisten mit Opium vernichten ließ, die britischen Geschäftsleuten in Kanton gehörten, war der Anlass für eine Militärexpedition gefunden.

Im Jahr 1860, nach den Abkommen, die als „ungleiche Verträge“ in das chinesische Vokabular eingegangen sind, waren elf Häfen – darunter Kanton, Schanghai, Hankou und Tientsin – für den internationalen Handel geöffnet. Die westlichen Kaufleute durften im Land frei reisen und Grundbesitz erwerben. In den zwangsgeöffneten „Vertragshäfen“ nutzten die Fremden ihren extraterritorialen Status zur schrittweisen Ausdehnung ihrer „Konzessionen“. So konnten sich in Schanghai ganze Stadtviertel faktisch der Kontrolle der chinesischen Behörden entziehen. Dem seit 1796 immer wieder verbotenen Opiumhandel waren keine Grenzen mehr gesetzt. Er stieg von 30 000 Kisten (à 63 Kilogramm) im Schleichhandel 1838 auf 68 000 Kisten im Jahr 1850 und 96 000 Kisten im Jahr 1873.

Großbritannien machte Hongkong zur Kronkolonie, und Russland verschaffte sich mithilfe diplomatischer Manöver über eine Million Quadratkilometer zwischen den Flüssen Amur und Ussuri. Gleichzeitig wurde China von Aufständen erschüttert, die zum Teil sezessionistische Ziele verfolgten (muslimische Hui und Turkvölker) und im Fall der Taiping-Bewegung sogar eine Gegendynastie etablieren konnten. Vielerorts wurden Aufstände auch von Geheimgesellschaften wie den Triaden geschürt, die sich am Opiumschmuggel bereichert hatten.

Die chinesischen Machthaber standen vor drei großen Problemen. Das erste war die Wiederherstellung der inneren Ordnung. Das zweite war das Resultat einer geopolitischen Fehleinschätzung: Die „barbarischen“ westeuropäischen Mächte an der Süd- und Ostküste galten als wenig gefährlich, während die vom nahen Zarenreich unterstützte Erhebung im weiten Westen des Landes als die Hauptbedrohung gesehen wurde. Das dritte war ein ökonomisches Problem: Der Abfluss von Silber (gegen Opium) führte zur Verarmung des Landes und löste enorme soziale Spannungen aus. Denn die Masse des Volkes wurde mit Kupfermünzen bezahlt, die gegenüber dem von den Opiumhändlern begehrten Silber und den darin ausgepreisten Waren deutlich an Wert verloren.

Als die Hauptstadt Peking 1860 von den „Barbaren“ eingenommen und der Sommerpalast zerstört wurde, büßte die Obrigkeit das Vertrauen des Volkes noch weiter ein, da sie nicht einmal imstande war, das Land zu verteidigen. Manche Historiker siedeln die Krise der Opiumkriege innerhalb einer umfassenderen inneren Krise an, die schon Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte: mit dem demografischen Druck, der steigenden Arbeitslosigkeit unter den Gebildeten, den Aufständen nationaler Minderheiten und der Unbeliebtheit eines korrupten Regimes, das wegen seiner Herkunft aus der Mandschurei als Fremdherrschaft angeprangert wurde.

Die seit 1860 im Rahmen der Yangwu- oder Verwestlichungsbewegung eingeleiteten Reformen blieben erfolglos. Das Land sollte mit Hilfe westlicher Technologien modernisiert werden, ohne das Regime im geringsten zu verändern. Doch rückständig waren nicht nur Technik und Rüstung, sondern auch die Staatsorganisation und die innere Verwaltung. Die militärischen Mängel wurden übrigens erst offenkundig, als die so lange verachteten Japaner 1895 den Sieg über die von den Westmächten ausgestatteten chinesischen Truppen davontrugen. Erst vor diesem Hintergrund war die Bedeutung die Niederlage in den Opiumkriegen zu erkennen. Das Ergebnis waren die republikanische Revolution von 1911 und ein übersteigertes Nationalgefühl, das sich noch heute geltend macht.

ALAIN ROUX

Le Monde diplomatique vom 08.10.2004, von ALAIN ROUX