12.12.2003

Die letzte klassische Schlacht

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Die letzte klassische Schlacht

DIE Parlamentswahlen am 7. Dezember versprachen keine großen Überraschungen. Aber dann kam die Yukos-Affäre dazwischen und machte sie zur Entscheidungsschlacht zwischen den Akteuren und Parteien, die die politische Bühne seit Beginn der Unabhängigkeit beherrschen. An deren Stelle wird jedoch zwangsläufig eine neue Generation treten, die nicht mehr die Kräfteverhältnisse widerspiegelt, wie sie in der russischen Gesellschaft vor zehn oder zwölf Jahren herrschten. Bis es so weit ist, geht es allerdings immer noch um die Wahl zwischen lauter Kandidaten, die offensichtlich nichts als ihre eigenen Privilegien im Auge haben und die Bedürfnisse der Bevölkerung hintanstellen.

Ein klassischer Wahlkampf also: Auf der einen Seite eine regierungsfreundliche Partei, auf der anderen die Kommunisten, und dazwischen zentristische Parteien, die am Ende an der Fünfprozenthürde gescheitert sind. Wahrscheinlich war dies auch die letzte Wahl nach einem Wahlgesetz, das den Regierenden untersagt, sich für eine der Parteien auszusprechen, es sei denn, sie lassen für die Zeit des Wahlkampfs ihre Ämter ruhen. Dass der Präsident und seine Minister nicht offen Farbe bekennen dürfen, ist angesichts der russischen Parteienlandschaft völlig absurd.

Die „Regierungspartei“ Einiges Russland ist aus den Parteien „Einheit“ und „Vaterland – Ganz Russland“ hervorgegangen. Auf ihrer Wahlliste standen 62 Amtsinhaber, darunter Innenminister Boris Grislow, Notstandsminister Sergei Schoigu, der Bürgermeister von Moskau Juri Luschkow und der Präsident der Republik Tatarstan, Mintimer Schaimijew. „Einiges Russland“ hat etwa ein Drittel der Stimmen erhalten, konnte aber dank der direkt gewählten Abgeordneten (die 50 Prozent der 450 Duma-Sitze belegen) knapp die Hälfte der Duma-Sitze erobern.

Die Kommunistische Partei (KP) wurde zweitstärkste Kraft, aber ihr Stimmenanteil wurde im Vergleich mit den letzten Duma-Wahlen fast halbiert. Dabei hätte sie von der derzeitigen Krise profitieren können, wäre sie nicht durch interne Streitereien und eine fantasielose Führung gehandikapt. Wie „Einiges Russland“ warb auch die KP um Jungwähler und Neurentner, und zwar durchaus mit modernen Werbetechniken, die Ilja Ponomarew einführte, der eine Zeit lang bei Yukos arbeitete. Die Chodorkowski-Affäre hat der KP eher geschadet, da sie auch ans Licht brachte, dass die Partei von einem Oligarchen finanziert wird. Die Konkurrenz mit der Agrarpartei, die mit eigenen Listen antrat, und der nichtkommunistischen Linken um Sergei Glasew hat die KP ebenfalls Stimmen gekostet. Glasew leitet die Partei „Rodina“ (Vaterland) gemeinsam mit dem Abgeordneten Dmitri Rogosin, einem außenpolitischen Experten. Die Rodina dürfte sich – wie auch die nationalistischen Liberaldemokraten des Wladimir Schirinowski – in der neuen Duma dem Putin-Lager zuordnen.

Für den anderen Pol der Opposition standen die „liberalen“ und „Mitte-rechts-Parteien“. Die Jablonko des Grigori Jawlinkski konnte die Fünfprozenthürde ebenso wenig überwinden wie die Union der Rechtskräfte (SPS). Die Yukos-Affäre brachte ans Licht, dass die beiden Parteien mit Anatoli Tschubais denselben Bankier haben, der ihnen im Übrigen einen Zusammenschluss empfohlen hat. Doch Jablonko lehnte ab, was nicht nur durch personelle Rivalitäten zu erklären ist. Jablonko hat sich zu einer Mitte-links-Partei entwickelt und stellt sich nicht mehr prinzipiell gegen die Regierung, sondern entscheidet ihre Haltung von Fall zu Fall. Im Gegensatz zur SPS hält sie ein gewisses Maß an Staatseingriffen für unerlässlich.

Anatoli Tschubais – Oligarch und Präsident des staatlichen Elektrizitätsmonopols – bediente sich ausgiebig aus der Unternehmenskasse, um den SPS-Wahlkampf zu finanzieren und dabei Jabloko ab und zu mit Schmutz zu bewerfen. Als wolle er die Widersprüche der russischen Gesellschaft illustrieren, verlangte der Chef eines Staatsmonopols, der als Oppositionskraft gegen Präsident Putin antritt, sich mit den Oligarchen zu arrangieren.

Die Yukos-Affäre droht die Glaubwürdigkeit der Politik und der Politiker noch weiter zu unterminieren. Im jüngsten Parlaments- wie im kommenden Präsidentschaftswahlkampf wird es vor allem um das Thema Privatisierungen gehen. Also um die große Frage, wie der aus der Ausbeutung der Naturressourcen stammende Reichtum zu verteilen sei. Dabei ist freilich zu befürchten, dass der russische Wähler, wie der Soziologe Juri Lewada in der Iswestija schrieb, am Ende „alles vergisst und akzeptiert“.

N. B.

Le Monde diplomatique vom 12.12.2003, von N. B.