12.12.2003

Monica Studer / Christoph van den Berg

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Monica Studer / Christoph van den Berg

In der Vergangenheit hatte das Künstlerduo Monica Studer und Christoph van den Berg seine interaktiven Kunstwerke in kleinerem Rahmen gehalten – Ausstellungsbesucher konnten ihre eigene Seele formen (Wie man eine Seele baut, 1997), Internet-User ihre eigenen Stillleben aus Einkaufsgütern entwerfen (still life take away, 1998) oder sich von gerafften summaries zu Fernsehschmonzetten (tv-plots, 1999) im Netz faszinieren lassen. Seit 2000 arbeiten die beiden Anfang der 60er-Jahre geborenen Schweizer an einem groß angelegten interaktiven Work in Progress – dem Internet-Hotel „Vue des Alpes“. In architektonischer Kleinarbeit haben sie auf dem Rechner ein virtuelles Hotel inmitten einer ebenso virtuellen Alpenlandschaft kreiert – eine Bilderbuchbergwelt, die umso romantischer erscheint, als man in ihr, hat man erst ein Zimmer in dem abgeschiedenen Hotel ergattert, allein auf weiter Flur per Mausklick zum See wandern, mit der Gondel in die Gletscherwelt entschweben oder auf der Sonnenterrasse verweilen kann. Gipfel der Verheißung ist die Livecam auf dem Gleissenhorn.

Die ersten reinen Landschaftsbilder des 16. Jahrhunderts spiegelten die Sehnsucht der Städter nach der freien Natur, die sie idealisierten, ja idyllisierten. Ähnlich spielt das Projekt „www.vuedesalpes. com“, mit der Sehnsucht des „users“ nach einem Ort der Ruhe und der exklusiven Naturbegegnung. Die aus eingängigen Motiven zusammengeschusterte Welt ist nicht von Fotos, Katalogen oder Postkarten abgescannt, sondern rein rechnergeneriert. Im Mittelpunkt des Projektes steht ein subversives Spiel mit gängigen Erwartungen. Die freie Natur ist hier so unfrei wie nie – sie lädt ein, doch man kann nur den von Pfeilen vorgeschriebenen Wegen folgen. Der Blick des Betrachters ist auf die von der „Kamera“ abgefahrenen Ausschnitte beschränkt. Und auch die Weite ist reine Illusion: die Berge sind lauter Potemkin’sche Dörfer, und die Welt ist genau dort, wo der Blick hin reicht, zu Ende.

Der „alpine Verismus“ verarbeitet erinnerte, erfundene sowie aus der Geschiche der Malerei tradierte Landschaftsschablonen, die statt auf Farbmaterial, Farbauftrag und Malgestus auf Rechenoperationen und Oberflächenmanipulationen basieren. Landschaftsbilder, so das postmoderne Credo der beiden Schweizer, kommen aus Bildern, nicht aus der Anschauung der Natur. M.L.K.

Le Monde diplomatique vom 12.12.2003, von M.L.K.