09.11.2023

Die Concierges von Paris

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Die Concierges von Paris

von Timothée de Rauglaudre

Katherine Bradford, Red Studio Brooklyn, 2016, Acryl auf Leinwand, 172,7 × 203 cm
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Bordeauxrote Fassade, Glastür und ein diskretes marineblaues Metallschild mit der Aufschrift „Gardien“: Das ist die Portiersloge von Natalia Teixeira Syed in der Pariser Rue Oberkampf im XI. Pariser Arrondissement. Im engen Vorraum stehen Staubsauger und Putzmittel.

Die Hauswartin entscheidet selbst, wann und wie sie ihre Aufgaben erledigt. Sie nimmt die Post entgegen, füttert die Katzen, gießt Blumen, putzt die Hausflure, fegt den Hof, stellt die Mülltonnen vor die Tür und weist die Handwerker ein. Und wenn sie im August zu ihrer Familie nach Portugal fährt, muss sie sich selbst um eine Vertretung kümmern, damit die Postberge keine Einbrecher anlocken und die Katzen versorgt sind.

Teixeira Syed verdient monatlich 1230 Euro netto. Die vertraglich festgelegten Arbeitszeiten – von 7.30 bis 12 Uhr und von 15.30 bis 19 Uhr – gelten nur theoretisch. „Das sind die Öffnungszeiten. Aber ich bin immer da, zumal so viele Pakete kommen.“

Seit ein paar Jahren stehen ständig die Lieferanten von Amazon, UPS oder DHL vor der Tür, vor allem am Wochenende. „Ich weiß doch, dass die Jungs nichts dafür können.“ Laut Tarifvertrag gehört es allerdings nicht zu den Aufgaben von Hauswarten, Pakete anzunehmen, erklärt Eloy Fernandez von der Gewerkschaft CGT. Aus Unwissenheit oder um sich mit den Hausbewohnern gutzustellen, tun es viele trotzdem.

Auch wenn es schon in der Römerzeit den Türhüter (ianitor) gab, tauchte der Beruf in seiner heutigen Form erst im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert auf. In den vornehmen Häusern gab es immer eine Loge für den Hauswart. Später wurden sie auch in den Häusern der gehobenen Mittelklasse eingerichtet und schließlich auch in einfachen Mietshäusern. In den Augen der Industriellen, die die Mietskasernen finanzierten, trug der Hauswart dazu bei, die Arbeiter zu kontrollieren, weil er die Miete kassierte und die Be­woh­ne­r:in­nen zur Hygiene anhielt.

Im 19. Jahrhundert musste der Hauswart ständig präsent sein und den Mieterinnen oder Eigentümern auch nachts die Tür öffnen, wenn sie an seiner Klingel zogen. Obwohl die Hauswarte 1903 ihre erste Gewerkschaft gründeten, profitierten sie weder von der Einführung des arbeitsfreien Sonntags (1906) noch vom Achtstundentag (1919). Der Klingelzug wurde erst 1947 abgeschafft, das Recht auf Ruhezeiten 1956 eingeführt, und 1966 gab es den ersten Tarifvertrag.

Dass diese Errungenschaften erst so spät durchgesetzt wurden, liegt vor allem daran, dass der Beruf seit dem 20. Jahrhundert mehrheitlich von Frauen ausgeübt wurde, die erst aus der Provinz und später aus dem Ausland kamen. Der Historiker Victor Pereira erzählt, wie in den Nachkriegsjahrzehnten eine katholische Mission aus Portugal, die sich 1958 im XVI. Arrondissement niedergelassen hatte, junge Dorfbewohnerinnen für die Pförtner­logen wohlhabender Häuser anwarb. Die Portugiesinnen galten als folgsamer als die Spanierinnen und anpassungsfähiger als die Nordafrikanerinnen. Noch heute sind drei Viertel der Gardiennes in Pariser Privatimmobilien portugiesischer Herkunft.

Unbefristete Verträge (93 Prozent in der Branche) und eine Dienstwohnung machen den Beruf weiterhin attraktiv. Häufig wird er von Generation zu Generation weitergegeben. Doch das Gehalt fällt sehr unterschiedlich aus, weil es nach einer Tariftabelle berechnet wird, die alle zu erledigenden Aufgaben in Punkte umwandelt: 2000 Punkte für die Müllentsorgung, 300 für die Reinigung von Hof und Parkplätzen, 200 für die Wartung der Fahrstühle und so weiter.

Mickaël Prince ist Hauswart in einer Wohnanlage in Palaiseau (Dé­parte­ment Essonne), die zur einen Hälfte aus Eigentumswohnungen, zur anderen aus Sozialwohnungen besteht. Für seine 6500 Punkte bekommt er einen Nettolohn von 1282 Euro. In Vanves, am südlichen Stadtrand von Paris, wo er vorher gearbeitet hat, kam er auf 1800 Euro, weil er noch die Post verteilt und die Fahrstühle gewartet hat. Viele Hauswarte würden leider nicht darauf achtgeben, meint Prince, doch er kenne seine Dienstzeiten und die Regeln; die Annahme von Paketen lehnt er beispielsweise ab.

Selbstorganisation in Notre-Dame-du-Travail

Es liegt vor allem an der Nähe zur Dienstwohnung, dass „man nie aufhört zu arbeiten“, erklärt Natalia Teixeira ­Syed. Ihre misst 28 Quadratmeter, das ist dreimal so groß wie der Durchschnitt der Pariser Hauswartwohnungen, die aus einer Zeit stammen, als man darin eher Bedienstete untergebracht hat als Ar­beit­neh­me­r:in­nen und ihre Familien.

In der Loge in der Rue Oberkampf wohnt die 45-jährige Concierge mit ihrem Mann und drei Kindern. Nur ein Vorhang trennt die anderen Räume von dem Zimmer, in dem sie schläft – immer angezogen, um im Notfall aufzuspringen: „Der Beschäftigte ist zur nächtlichen Rufbereitschaft verpflichtet und muss in der Loge schlafen. Ausgenommen sind die wöchentlichen Ruhe- und Urlaubszeiten.“ So steht es in ihrem Vertrag.

Mit dem Renteneintritt verliert man die Dienstwohnung. Doch wegen des bescheidenen Lohns, der auch mit der freien Unterkunft gerechtfertigt wird, ist auch die Rente gering. In seinem Büro bei der CGT empfängt Fernandez oft Siebzigjährige, die noch arbeiten. „Sie machen nur wegen der Wohnung weiter, nicht weil sie ihre Arbeit so lieben.“

39 Prozent der Concierges sind 55 und älter. In diesem Alter werden bestimmte Aufgaben immer mühsamer. Davon erzählt auch Lia Gomes, Hauswartin im XVI. Arrondissement. „Neulich war ich wegen Rückenproblemen zwei Wochen krankgeschrieben.“ Mit der isolierten Tätigkeit geht ein höheres Unfallrisiko einher, das ebenso unterschätzt wird wie die Schädlichkeit der Putzmittel.

Als Teixeira Syed Ende der 1990er Jahre ihre Stelle antrat, hatten fast alle Häuser in ihrer Straße eine Concierge. Heute sind es nur noch drei. In zwanzig Jahren hat die Region Paris ein Viertel seiner Hauswarte verloren. Das bekommt die Hauswartin zu spüren. Bei ihr landen auch Pakete für die Nachbarhäuser, und deren Be­woh­ne­r:in­nen bitten sie, auch bei ihnen sauberzumachen. Und in ihrem Haus haben die neuen Eigentümer schon überlegt, sie auf Halbzeit zu setzen, um ihr die Loge wegnehmen zu können.

Auch im sozialen Wohnungsbau werden Hauswarttätigkeiten zumindest teilweise outgesourct. „Bei manchen Vermietern wurde der Hauswart durch einen Verwalter ersetzt“, beschreibt ein leitender Angestellter aus der Branche die Entwicklung. Und in neuen So­zial­bau­ten verschwindet nur die Loge, nicht aber der Hauswart.

Emmanuelle Copin, Generaldirektorin von Paris Habitat, der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaft, verteidigt die „unverzichtbare Funktion für die Gemeinschaft“ ihrer 1120 Gardiennes – die fortschreitende Digitalisierung, selbst bei öffentlichen Dienstleistungen, führe auch zur Vereinsamung. Während der Coronapandemie hätten ihre Haus­war­t:in­nen zum Beispiel auch gesundheitliche und soziale Bereitschaftsdienste für hilfsbedürftige Mieter geleistet und die Impfkampagnen unterstützt.

Hannen Kebdani arbeitet für die städtische Hausverwaltung RIVP im IV. Arrondissement. In den letzten zehn Jahren seien immer mehr Aufgaben dazugekommen, erzählt sie vor dem Computer in ihrer Loge. Viele Prozesse wurden digitalisiert, sie ist für die Mie­te­r:in­nen auch per Mail erreichbar und muss sich durch Onlineformulare von Wartungsfirmen klicken. Das Gehalt ist deshalb aber nicht gestiegen.

Auch das zunehmend unsoziale Verhalten mancher Be­woh­ne­r:in­nen macht den Hauswarten zu schaffen. Seit 2018 können sich Angestellte von Paris Habitat vereidigen lassen, damit sie Vergehen mit Geldbußen ahnden können. Ungefähr 400 Beschäftigte sind inzwischen vereidigt, in der Mehrzahl Hauswarte. Die RIVP ist dem Vorbild gerade gefolgt. Diese Maßnahme im sozialen Wohnungsbau, die an die erzieherische Hauswärterrolle in den Arbeitervierteln des 19. Jahrhunderts erinnert, wirft auch ein Schlaglicht auf den Rückgang des Frauenanteils im sozialen Wohnungsbau. 64 Prozent der 71 000 Beschäftigten in der Branche sind Frauen, in Eigentumshäusern sind es 84 Prozent, aber nur 43 Prozent bei Paris Habitat.

Gewerkschaften und Eigentümerorganisation lehnen diese repressive Maßnahme entschieden ab. Hannen Kebdani hat sich auch nicht vereidigen lassen: „Ich bin doch kein Bulle. Ich wohne dort. Wenn es morgen irgendein Problem gibt, trommeln sie an meine Tür oder schlagen meine Fenster ein, nicht die meines Direktors, der seelenruhig in seinem Haus sitzt.“

Kebdani ist Mitglied der Gewerkschaft Force ouvrière und sitzt im Betriebsrat der RIVP. Sie bedauert das geringe Engagement ihrer Kol­le­g:in­nen. Paul Briey, Präsident der Hausmeistergewerkschaft Snigic – nach der CGT die zweitgrößte Arbeitnehmervertretung in der Branche –, kann das nur bestätigen: „Die Hauswarte sind nicht bei uns Mitglied, um demonstrieren zu gehen, sondern damit wir sie beraten. Die Gewerkschaft ist für sie ein Dienstleister.“

Die Angestellten von Eigentümergemeinschaften wollen nicht in eine Gewerkschaft eintreten, aber sie organisieren sich selbst. Zum Beispiel im Verein Alma. Die Idee zu Alma wurde vor acht Jahren in der Krypta der Kirche Notre-Dame-du-Travail geboren. Hier versammeln sich die Gemeindemitglieder jeden Sonntag nach der portugiesischen Messe. „Wenn es etwas gibt, weswegen ich auf die Straße gehen ­würde, dann sind es die Arbeitszeiten“, sagt die 42-jährige Vera beim Kaffeetrinken in der Krypta.

Ende 2014 wurde im Tarifvertrag der Arbeitsumfang reduziert. Veras Wohnungsverwaltung hat diese Änderung erst 2018 umgesetzt. Als sie das herausfand, verlangte sie, für ihre Überstunden bezahlt zu werden – mit Erfolg. Ein echtes Kollektivbewusstsein lässt in dieser schrumpfenden Branche noch auf sich warten, doch ein gemeinsames Ziel bleibt. Alle wollen anständig behandelt werden, als Angestellte, nicht mehr als Bedienstete.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Timothée de Rauglaudre ist Journalist und Autor.

Le Monde diplomatique vom 09.11.2023, von Timothée de Rauglaudre