09.06.2022

Meldungen des Monats

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Am 30. Mai wurde in der Ukraine ein Video­reporter des französischen Nach­richenkanals BFMTV nahe der umkämpften Stadt Lyssytschansk getötet. Frédéric Leclerc-Imhoff ist der achte Journalist, der seit Beginn der russischen Invasion ums Leben kam. Der Reporter hatte einen humanitären Transport gefilmt, als er von Granatsplittern getroffen wurde. Ein französischer und ein ukrainischer Mitarbeiter wurden bei dem Angriff leicht verletzt. Leclerc-Imhoff hatte sechs Jahre lang für seinen Sender gearbeitet. Die russische Nachrichtenagentur Tass verbreitete die Behauptung, der „angebliche Journalist“ sei ein „ausländischer Söldner“ im Dienst „ukrainischer rechtsradikaler Kräfte“ gewesen, der vermutlich „mit der Lieferung von Waffen und Munition beauftragt war“.

Am 11. Mai wurde die palästinensische Journalistin Schirin Abu Akle im Westjordanland erschossen, als sie aus Jenin über eine Operation der israelischen Armee berichten wollte. Die prominente Reporterin des TV-Senders al-Jazeera trug eine schusssichere Weste mit der Aufschrift „Presse“. Sie wurde durch einen Kopfschuss getötet. Der neben ihr stehende palästinensische Journalist Ali al-Samudi, Produzent bei al-Jazeera, wurde in den Rücken getroffen. Die israelische Armee hat eine Untersuchung über die Erschießung der Journalistin angekündigt. Zuvor hatte Premierminister Naftali Bennett behauptet, für deren „unglücklichen Tod“ seien „wahrscheinlich bewaffnete Palästinenser verantwortlich“. Al-Jazeera erklärte, seine Reporterin sei von den israelischen Streitkräften „kaltblütig“ und „vorsätzlich“ getötet worden. Reporter ohne Grenzen (ROG/RSF) fordert eine unabhängige internationale Untersuchung des Todes von Schirin Abu Akle.

Die „Counter terrorism agency“ des indischen Unionsterritorium Jammu und Kashmir hat die Pressefreiheit im Visier. Die Behörde will vor allem das politisch unabhängige Onlinemagazin The Kashmir Walla zum Schweigen bringen. Dessen Chefredakteur Fahad Shah sitzt seit dem 4. März in U-Haft, weil sein Medium vor elf Jahren (2011) einen „aufwieglerischen“ Artikel veröffentlicht hat. Dessen Autor Abdul Aala Fazili wurde am 18. April ­festgenommen. Seit Anfang Juni wird auch gegen den Interims-Chefredakteur Yashraj Sharma ermittelt, der 2011 zwölf Jahre alt war. Im Januar 2021 war bereits der Kashmir Walla-Reporter Sajad Gul verhaftet worden, weil er ein Video von Straßenprotesten getwittert hatte. Bei einer Verurteilung droht Gul lebenslange Haft.

In Nordzypern ist die Pressefreiheit akut bedroht. Die Regierung der Türkischen Republik Nordzypern (TRNC), die als Staat nur von der Türkei anerkannt wird, hat am 20. Mai eine Strafrechtsänderung vorgeschlagen, die von Ankara inspiriert ist. Ein neu erfundenes „Verbrechen“ der Publikation „bösartiger“ Meldungen, die zu „Unzufriedenheit“ mit der Regierung und dem Staat aufstacheln könnten, sieht als Strafe bis zu fünf Jahren Gefängnis vor. Dasselbe gilt für die publizistische „Infragestellung der Souveränität“ der TRNC. Bislang kannte Nordzypern nur das „Vergehen“ der „üblen Nachrede“, das mit maximal sechs Monaten Gefängnis bestraft wurde.

Le Monde diplomatique vom 09.06.2022