10.06.2021

Immer wieder Gaza

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Immer wieder Gaza

von Serge Halimi

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In den letzten 15 Jahren gab es fünf Strafexpeditionen gegen Gaza: 2006 „Summer Rain“, 2008/09 „Cast Lead“, 2012 „Pillar of De­fense“, 2014 „Protec­tive Edge“ und 2021 „Guardian of the Walls“. Mit solchen Namen will ­Israel Angreifer als Belagerte ­tarnen.

Seit 15 Jahren wiederholen dieselben Leute dieselben Losungen, um dieselben Strafaktionen zu rechtfertigen, denn das Wort „Krieg“ ist angesichts des Ungleichgewichts der Mittel unangebracht. Auf der einen Seite steht eine der schlagkräftigsten Armeen der Welt, bestens ausgerüstet und unterstützt von den USA, die Gaza einer anhaltenden Land- und Seeblockade unterwirft. Auf der anderen gibt es nicht einen Panzer, kein Flugzeug, kein Schiff, keine Unterstützung (außer mit Worten) irgendeines Landes. Da ist es schon eine Frechheit, wenn der israelische Botschafter in Frankreich den Palästinensern „eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen des 21. Jahrhunderts“ vorwirft. Er sollte einen Blick auf die Opferzahlen beider Seiten werfen.

Seit 15 Jahren „antworten“ oder „reagieren“ bekanntlich die Israelis, weil sie angegriffen werden. Ihr Narrativ, das die meisten Medien übernehmen, beginnt nie auch nur eine Sekunde vor der Entführung eines ihrer Soldaten oder eines Raketenabschusses in ihre Richtung. Die Chronologie der Auseinandersetzungen unterschlägt gewöhnlich die alltäglichen Demütigungen der Palästinenser, die ständigen Kontrollen, die militärische Besatzung, den Einschluss eines Territoriums ohne Flughafen, die Grenzmauer, die Sprengung von Häusern, die Kolonialisierung ihres Bodens.

All das würde auch dann bleiben, wenn die Hamas morgen verschwinden würde. Das wissen die Israelis, die anfangs die Islamisten unterstützt haben und ihre Finanzierung teilweise zulassen. Dank der Hamas lässt sich der Kampf der Palästinenser um einen eigenen Staat als grundsätzlich unlösbarer Konflikt mit einer radikalen religiösen Organisation darstellen. Bei den brutalen Angriffen auf die Gläubigen auf dem Tempelberg in Jerusalem mussten die israelischen Behörden wissen, wie gelegen diese Provokation den Islamisten kommen würde.

So zynisch und durchsichtig das Vorgehen von Ministerpräsident Netanjahu auch sein mag, es hat funktioniert. Es gab weder eine UN-Resolution (die Israel ein weiteres Mal ignoriert hätte) noch Sanktionen; kein Botschafter wurde zurückgerufen, keine Waffenlieferung ausgesetzt. Kritiklos haben die USA und die Europäische Union die Sprache der israelischen Rechten übernommen.

Die französische Regierung (unterstützt unter anderen von Marine Le Pen) ist nur aktiv geworden, um eine propalästinensische Solidaritätsdemonstration zu verbieten. Man könnte meinen, dass Israel je mächtiger, desto undemokratischer wird und dennoch von aller Welt Rückendeckung erhält.

Die fünf Kriege haben bewiesen, dass auch ein diplomatischer „Iron Dome“ Israel keine Ruhe garan­tieren kann. Die Gewalt der Unterdrückung bringt die Gewalt des Widerstands hervor, wenn das Volk nicht völlig zermalmt und unterworfen ist. Das palästinensische Volk steht noch aufrecht.

⇥Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 10.06.2021, von Serge Halimi