12.01.1996

Ein seltsamer Friede

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Ein seltsamer Friede

SCHRECKENSBILDER aus Liberia: „Manchmal wurde der Kopf eines Ziegenbocks auf einen menschlichen Körper gesteckt – und umgekehrt –, und die beiden Schimären wurden dann aufgestellt, damit jeder, der aus der Stadt zum Kampf aufbrach, sie sehen konnte.“1 Dieser Bericht über Stammeskriege aus dem 19. Jahrhundert würde heutzutage durchaus nicht den Rahmen sprengen. Ein „Konflikt von schwacher Intensität“, lautet der beruhigende Euphemismus gewisser Politologen. Doch in diesem kleinen Land mit 6 Millionen Einwohnern hat es bereits 150000 Tote gegeben, andere Schätzungen sprechen von 300000. Dieser Krieg hat Zehnjährige zu Kämpfern gemacht; in ihm dienen Killer-Amazonen wie die berüchtigte „Two for five“, die Leibgarde des Kriegsherrn Prince Johnson, die ihre gefangenen Feinde mit dem Dolch zerstückelte, sowie Abenteurer aus ganz Westafrika. Gemeinsam bescherten sie der Zivilbevölkerung des ehemaligen „gelobten Landes“ der amerikanischen Sklaven die Hölle auf Erden.

Dieser lange totale Krieg schöpfte aus den ethnischen Zauberriten und Traumbildern: Die Körper der wilden Kämpfer wurden mit Kaolin eingeschmiert, Talismane zu deren Unverwundbarkeit eingesetzt, die Männer mit weiten weiblichen Kleidungsstücken ausstaffiert – all dies versetzt in die Umgebung einer pervertierten Übermodernität, in der Kalaschnikows Massaker anrichten und Hinrichtungen sorgsam verfilmt werden, wie die des ehemaligen Staatschefs Samuel Doe. Die Götter dürsten schon lange in Liberia. Bei den Gyo und Mano, den beiden Ethnien, die 1989 den Aufstand anführten, forderte T'to, der gottgewordene Kriegerahne, am Vorabend des Kampfes das Opfer eines Sklaven durch den Kriegsherrn, den Kula. Abseits der Siedlungen bekämpften die blutigen Geheimgesellschaften unter dem Mantel der Nachbarschaftshilfe die Unterdrückung und die Verachtung der natives durch die Kongos.2 Die Leoparden-, Nigu- und Kelagesellschaften kannten nur eine Strafe, den spektakulärsten Mord, „eine plötzliche, rohe, unvorhersehbare Art des Tötens“3.

Ein eigenartiger Friede. Man faßt sich an den Kopf, wenn man das Lob einer „afrikanischen Vermittlung“4 liest, denn es ist bekannt, daß sich die OAU genauso abseits gehalten hat und ohnmächtig geblieben ist wie die UNO oder die US-amerikanische Marine, die zu Anfang des Konflikts nur einen Katzensprung entfernt von den Massakern hin und her kreuzte, ohne einzugreifen. Das soll – ein Grund mehr zur Beunruhigung – als Modell für eine gelungene „Afrikanisierung“ gelten!

Der alltägliche Zynismus registriert nur Zahlen, keine Massaker: „nur“ 50 internationale Beobachter der UNO – im November 1995 wurden sie auf Anordnung des UN-Generalsekretärs auf 130 aufgestockt, um den in Accra im August 1995 beschlossenen Friedensprozeß zu begleiten –, 30 Millionen Dollar Hilfe von den USA und eine Million von der EG für die Ecomog, die von Nigeria kontrollierte westafrikanische Friedenstruppe. Die Agenturmeldungen wirken beruhigend: der jüngste Friedensgipfel, initiiert vom ghanaischen Präsidenten Jerry Rawlings unter der Schirmherrschaft der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten (Cedeao/Ecowas), scheint etwas bewirkt zu haben. Ein Staatsrat, zusammengesetzt aus den Führern der verschiedenen Gruppierungen, ist gebildet worden. Die 60000 Kämpfer beginnen, ihre Waffen an die Ecomog abzuliefern. Nach zwölf Monaten Übergangsphase hofft man, endlich Wahlen am Horizont zu sehen. Auch wenn die Kämpfe aus Mangel an Kämpfern aufhören sollten, wäre es ein schwerwiegender Fehler, erneut einen Staat der Ungleichheit, des „schwarzen Kolonialismus“ aufzubauen. Eher müßten die Guerilleros in eine gemeinsame Armee integriert werden – wie in Simbabwe oder Mosambik –, die Infrastrukturen (Häfen, Flughäfen, Straßen, Strom- und Wasserzentralen) ohne Mißwirtschaft und Korruption aufgebaut werden, die regierungsunabhängigen Organisationen eingespannt werden, um die Kriegskinder zu reintegrieren.

Schwieriger wäre es schon, den blühenden Schmuggel an den Grenzen zu unterbinden, Steuern von den großen Firmen einzutreiben, die, wie Firestone, auf den Ruinen Riesenprofite machen, Vendettas und Raubüberfälle einzudämmen. Doch es bedeutete Selbstmord, die alten Dualismen zwischen der Hauptstadt oder der Küste und dem Landesinneren wiederzubeleben. Im Gegenteil müssen vorrangig Anstrengungen für die Volksgruppen im Hinterland und in den Bergen unternommen werden: Kredite für die Ärmsten, eine grundlegende Gesundheitsversorgung und Bildung wären die besten Garanten des Wiederaufbaus. Sonst ist der Friedensvertrag nur ein weiterer Papierfetzen. Wie in Somalia wird der Frieden eher aus langatmigen Verhandlungen mit Palavern, Entschuldigungen, Feierlichkeiten, Bündnissen entstehen.5 Oder aber aus der Wiederholung eines zugleich abschreckenden wie wirksamen Rituals, das alle beteiligten Ethnien aus ihren Traditionen kennen: der Katharsis eines gemeinsam begangenen Mordes, wobei der endgültige Abschluß des Konflikts sich auf die Zweiteilung des Körpers einer Gefangenen gründet. Die beiden Längshälften werden symmetrisch auf jeder der beiden Seiten begraben. Die Erinnerung an die zahllosen Massengräber könnte dafür reichen.

Michel Galy *

1 G.W. Harley und G. Schwab, „Tribes of the Liberian Hinterland“, Cambridge 1947.

2 Vgl. Claudio Moffa, „L'histoire se répète au Liberia“, Le Monde diplomatique, Januar 1986, und Michel Galy, „Liberia, une guerre oubliée“, Le Monde diplomatique, September 1994.

3 Jean Genevray, „Monographie du comté de Grand Bassa“, Dakar 1952.

4 Adama Gaye, „La Cedeao au Liberia, exemple d'une médiation africaine“, Jeune Afrique, 14. August 1995. Der Autor ist der Leiter der Informationsabteilung von Cedeao/Ecowas.

5 Gérard Prunier, „L'inconcevable aveuglement de l'ONU en Somalie“, Le Monde diplomatique, November 1993.

* Soziologe

Le Monde diplomatique vom 12.01.1996, von Michel Galy