16.02.1996

Medien in Gefahr

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Medien in Gefahr

Von IGNACIO RAMONET

NACH neuen Umfragen zu schließen, ist das Vertrauen in die Medien in Frankreich zutiefst erschüttert.1 Innerhalb eines Jahres ist die Zahl derjenigen, die mit der Art der Berichterstattung durch die Presse zufrieden sind, von 56 auf 45 Prozent gesunken – also um 11 Prozent! Bezüglich der Berichterstattung des Fernsehens sogar von 60 auf 45 Prozent – also gar um 15 Prozent. Ein Vertrauensverlust, der sicherlich in dem gräßlichen Medienspektakel um den Tod von François Mitterrand – inklusive der entsprechenden Enthüllungen bzw. Verschleierungen – neue Nahrung bekommen hat.

Ein solcher Vertrauensverlust ist einer Demokratie abträglich. Zuallererst, weil er die Bedeutung der Information in Frage stellt, die darin besteht, den Bürgern Orientierungspunkte zur Meinungsbildung zu liefern und somit auch die Wahlen beeinflussen zu können. Andererseits rücken die Menschen, hat sich dieses Mißtrauen erst eingenistet, von den Zeitungen ab, und so verschärft sich deren Krise. In den Vereinigten Staaten etwa haben sieben große Tageszeitungen – darunter The New York Times, The Washington Post, The Los Angeles Times und The Wall Street Journal – im letzten Jahr deutliche Verkaufseinbußen hinnehmen müssen. In England das gleiche Phänomen: Soeben hat die Volkszeitung Today, die eine Auflage von 500000 hatte, schließen müssen.

In Frankreich ist in den letzten Wochen gleichfalls eine Tageszeitung eingegangen, nämlich der InfoMatin; eine andere, die (1973 unter der Schirmherrschaft von Jean-Paul Sartre gegründete) Libération, ist von der Firmengruppe Chargeurs übernommen worden. Bereits im Oktober letzten Jahres hatte die Havas-Gruppe, ein Zusammenschluß von Werbeagenturen, in Kooperation mit Alcatel2 mehrere bedeutende Zeitungen übernommen: (L'Express, Le Point, Courrier International).

Kein anderer Bereich verzeichnet heute, im Zeitalter der Datenautobahnen, vergleichbare Zuwachsraten wie die Kommunikation. Er zieht die massiven Investitionen der Industrie- und Bankkonzerne förmlich an. Weltumspannende Unternehmensgruppen wie Rupert Murdoch oder Bertelsmann expandieren unaufhörlich. Die Konzentration nimmt zu, so zuletzt in den USA, wo ABC-Fernsehen mit Disney fusioniert hat, CBS mit Westinghouse, NBC mit General Electric und CNN mit Time Warner. Nach und nach festigt sich eine neue, kommunikationelle Wirtschaftsordnung; sie läßt der unabhängigen Presse immer weniger Raum.

In diesem neuen Medien- System ist die Nachricht zu einer Ware verkommen, deren Wert von Angebot und Nachfrage geregelt wird. Die neuen Technologien ermöglichen die Übermittlung der Nachricht in Echtzeit – eine Unmittelbarkeit, die oftmals zum Wert an sich erhoben wird. Die Geschwindigkeit der Darbietung ersetzt Wahrheitsgehalt und Authentizität. Nach dem Muster des Fernsehens, das dem Zuschauer verheißt, er könne „direkt dem Ereignis beiwohnen“, schaffen sich die Medien zum Schein irgendwelche Parameter, die jeglicher Beziehung mit dem Gegenstand der jeweiligen Nachricht entbehren. Wahrheit und Lüge, die nach wie vor die zentralen Kriterien des Nachrichtenberufs sind, werden zu vernachlässigbaren Kriterien. Niveauverlust ist die unvermeidliche Folge.

Das heimliche Einverständnis zwischen Firmen und Finanzwelt einerseits und den Medien andererseits verringert deutlich die Glaubhaftigkeit der letzteren. Denn oft vermeiden es die Nachrichtenorgane, die Firmenbeteiligungen offenzulegen. Geschäftemacherei und Bestechung sind längst keine Ausnahmen mehr, und so hängt heutzutage das Enthüllen (bzw. Vertuschen) von Informationen über diesen oder jenen Investor nicht selten davon ab, in welchem (Abhängigkeits-)Verhältnis sich das jeweilige Organ befindet.

Diese Unternehmen, die oft die Hauptanzeigenkunden sind, nehmen so auch über die Werbung Einfluß auf die Inhalte. Die frenetische Suche nach Werbeeinnahmen bringt die Medien so in Abhängigkeit von Anzeigenkunden, die mitunter gar heimliche Besitzer der Zeitungen sind. Um sich potenten Anzeigenkunden anzudienen, verändern die Zeitungen ihr Gesicht, ihr Layout – mit Tendenz zu zunehmender Trivialisierung.

Die Bürger haben den Eindruck, daß drei Abteilungen in den Zeitungen am Ruder sind: Marketing, Werbung und Layout. Nach und nach werden die immer enger gesteckten Vorgaben des Layouts zu Gefängnismauern der Redaktion, die – so erleben wir es überall – über kurz oder lang kapitulieren. Die Journalisten sind heutzutage proletarisiert, taylorisiert, ja Sträflinge auf der Informations-Galeere. Nur ein paar große Namen, die im Fernsehen präsentiert werden, simulieren noch die Glorie eines freien Pressewesens.

Die Presse, die ehedem als Gegengewalt zur politischen Herrschaft entstanden ist, identifiziert sich zunehmend mit ihr. Das Einverständnis erreicht hier und da geradezu skandalöse Ausmaße. Zumal die Medien heute die Politiker an Macht überrundet haben, ohne sich jedoch zu einer selbstkritischen Analyse durchringen zu können. Längst haben sie sich zum Herr der Lage erkoren. Die Regierungen müssen sich heute nicht gegenüber dem Volk, nicht gegenüber den Parlamenten, sondern gegenüber den Medien erklären, und bei diesen ist es das Kapital, das sagt, wo es langgeht.

So kommt es, daß die Gesellschaft heute die mediale Gegengewalt eingebüßt hat und der demokratische Geist gefährdet ist. Und daß es heute nötiger denn je ist, sich für den Erhalt der freien Meinungsäußerung und einer unabhängigen Presse zu engagieren (siehe den Aufruf der „Freunde der Monde diplomatique“ auf Seite 24).

1 La Croix, 24. Januar 1995.

2 Le Monde, deren Auflage im Jahr 1995 gestiegen ist, ist eine der wenigen europäischen Tageszeitungen, in denen interne Aktionäre die Mehrheit besitzen, wobei die „Société des rédacteurs“, der Redaktionsrat, wenn man so will, alleine 34,28 Prozent des Firmenkapitals besitzt.

Le Monde diplomatique vom 16.02.1996, von Von IGNACIO RAMONET