16.02.1996

Internet - eine Chance für den Süden

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Internet - eine Chance für den Süden

SO eindrucksvoll der Vormarsch des Internet im Norden ist, noch spektakulärer ist er im Süden. Obschon zahlreiche Hindernisse zu überwinden sind – etwa der Mangel an Telefonverbindungen –, versuchen die Entwicklungsländer, diese neuen Technologien zu nutzen, um ihre Isolierung zu durchbrechen, vor allem auf wissenschaftlichem Gebiet. Damit dies jedoch gelingt, darf das Internet nicht den Geschäftemachern überlassen werden, sondern auch im Süden müssen die Forscher beim Ausbau des Netzes entscheidend mitbestimmen können.

Von PASCAL RENAUD und ASDRAD TORRÈS *

Seit das Internet zum Tummelplatz kommerzieller Anbieter geworden ist, hat sich die Zahl seiner Benutzer merklich erhöht. Dennoch sind es nach wie vor Wissenschaft und Forschung, die seine geographische Ausbreitung vorantreiben. Fast die ganze Welt ist mittlerweile am Netz, mit Ausnahme von etwa dreißig, zur Hälfte afrikanischen Ländern, denen noch jeder Zugang fehlt.1 Die jüngsten Statistiken, die die Internet Society veröffentlicht hat2, zeigen, daß die Zuwachsrate im Süden, besonders in Afrika, deutlich höher liegt als im Norden.3 Während die Rate in Nordamerika bereits wieder sinkt, machen viele neue Länder ihre ersten Schritte im Netz der Netze. Im wesentlichen handelt es sich dabei um Schwellenländer in Südamerika und Osteuropa.

So ermutigend diese Zahlen aber auch sind, man darf nicht vergessen, wie gewaltig der Abstand zwischen Nord und Süd auf dem Gebiet der technischen Ausrüstung ist, inbesondere, was die Zahl der installierten Rechner betrifft. Was sind schon tausend ans Internet angeschlossene Computer in China gegenüber vier Millionen in den USA? Dieses Gefälle erklärt sich zum Teil aus dem unterschiedlichen Stand der Entwicklung. Schuld daran ist aber auch die politische, ökonomische und militärische Strategie der Großmächte, die einer Verbreitung der EDV- Technik lange im Weg stand. Es ist noch keine fünf Jahre her, daß der größte Teil der Soft- und Hardware, auf der das Internet basiert, zur sogenannten „sensiblen“ Technologie gerechnet wurde. Das amerikanische Verteidigungsministerium sorgte deshalb dafür, daß die Ausfuhr der Workstations4, die die Knotenpunkte des Netzes bilden, und der Modems, ohne die sich keine Daten übertragen lassen, strengen Kontrollen unterworfen wurde.

Die große Armut der Länder des Südens schwächt in keiner Weise ihren Willen, sich die Technologien der Datenautobahn anzueignen. Das hat einen intensiven Gebrauch der vorhandenen Mittel zur Folge, der sich in den nackten Zahlen nicht niederschlägt. Jeder Internetzugang wird zu einer wertvollen Ressource. In Tunis oder Lima werden alle ans Netz angeschlossenen Rechner auch benutzt, was in Deutschland oder den USA keineswegs der Fall ist, und noch im kleinsten PC gibt es Dutzende von Mailboxen, so daß mehrere Benutzer hier nacheinander ihre Post erledigen können. Diese Anpassung an die Verhältnisse sticht vor allem in Lateinamerika und Osteuropa ins Auge, wo man überdies – mehr als anderwo – auch im Internet auf die Landessprache zurückgreift. Auf einem kurzen Rundgang durch den Cyberspace hätten sich Jacques Chiracs Berater für den Frankophoniegipfel, der vom 2. bis zum 4. Dezember 1995 in Cotonou (Benin) stattfand, davon überzeugen können, daß das Internet keineswegs ein rein „angloamerikanisches“ Produkt ist. Es spricht viele Sprachen: Spanisch5, Portugiesisch6, Russisch7, Japanisch8...

Innerafrikanische Verbindungen

DAS beste Beispiel für diese Anpassung an die wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten bieten im Süden die Andenländer. 1991 gab es hier noch keinerlei Verbindung mit dem Internet oder irgendeinem anderen Netz des akademischen Bereichs. Heute, 1996, sind fast alle Universitäten angeschlossen: Sie haben Zugang zu allen interaktiven Diensten und vor allem zum „weltweiten Spinngewebe“, dem World Wide Web (WWW). Und wenn man sich einmal die Angebote von Servern in Peru, Ecuador oder Bolivien anschaut, findet man dort, abgesehen von der Willkommensseite, kaum etwas auf englisch, jedenfalls weit weniger als in Frankreich!

Auch Afrika hat einen Fuß im Cyberspace. Sicher, etwa fünfzehn Länder sind noch gar nicht im Internet präsent, aber 1996 wird sich diese Zahl auf fünf oder sechs verringern, denn die Datenautobahn findet bei Akademikern und auch in der Wirtschaft großen Anklang, und die Projekte werden zügig umgesetzt. Obwohl die Kommunikations-Infrastruktur nur schwach entwickelt ist (auf hundert Einwohner kommt meist weniger als ein Telefon), haben mehrere Projekte, die Anfang der neunziger Jahre unter der Schirmherrschaft von Instituten für wissenschaftliche Zusammenarbeit oder von NGOs – wie der Orstom in Frankreich9 bzw. Greennet in Großbritannien –, eingeleitet worden sind, es einigen der ärmsten Länder ermöglicht, ihre ersten Schritte im Netz zu machen. Insgesamt sind es mehrere hundert Einrichtungen, vor allem universitäre, die davon profitieren.

Diese Einbindung Afrikas in den Cyberspace ist freilich noch sehr schwach, und die Dienste beschränken sich zumeist auf den Austausch elektronischer Post. Die Telekommunikationskosten sind so hoch, daß nicht einmal in der engen Gemeinschaft der Forscher und Hochschullehrer an eine intensivere Nutzung zu denken ist. Ein klassisches Problem der Unterentwicklung: Da es zu wenige Teilnehmer gibt, lohnt es sich nicht, zu einem Pauschaltarif Standleitungen zu benutzen, mit denen man im Norden die Kosten senkt. Doch immerhin machen die Internettechnologien es möglich, daß Institute, an denen sich sechzig Leute eine einzige Telefonleitung teilen, für jeden eine eigene Mailbox einrichten. Diese erlaubt es den Forschern, engen Kontakt zur internationalen scientific community zu halten. Außerdem wird so das bei einigen Vorgesetzten beliebte Spielchen vereitelt, aus dem Zugang zum Telefon oder Faxgerät einen Gunstbeweis zu machen.

Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Meinung sind die Infobahn-Technologien für die Wissenschaftler in den Ländern des Südens alles andere als ein bloßer Zeitvertreib. „Wenn ich in Yaoundé einen sicheren und vollständigen Zugang zum Internet habe, arbeite ich lieber in meinem Land, auch wenn ich nur ein Drittel von dem verdiene, was man in Europa bekommt“, erklärte kürzlich ein Kameruner Forscher, der gerade seine Doktorarbeit in Frankreich abgeschlossen hatte. Dieser Punkt, in dem sich viele Wissenschaftler einig sind, zeigt, wie wichtig das Internet für den Süden ist. Es handelt sich nicht um ein Wundermittel oder um eine Abkürzung auf dem Weg zu Wissen und Wohlstand, wohl aber um eine Möglichkeit, die besten Köpfe zum Bleiben zu bewegen.

Die Grenzen der „globalen Lösungen“

IN Ländern, in denen es weder Universitätsbibliotheken gibt, die dieses Namens würdig sind, noch Dokumentationszentren – sieht man von den ausländischen Kultur- und Wissenschaftsinstituten einmal ab –, dürfte das Internet die Arbeitsbedingungen der Forscher radikal verändern. Zum ersten Mal wird es in den ärmsten und technologisch rückständigsten Ländern möglich sein, aus dem ganzen Informationsreichtum der avanciertesten Forschungsstätten und Universitäten des Nordens zu schöpfen. Dabei geht es nicht bloß darum, in Datenbanken und Enzyklopädien zu stöbern oder virtuelle Museen zu besuchen. Vielmehr ist das Internet mittlerweile das privilegierte, wenn nicht das einzige Mittel, um sich über den aktuellen Forschungsstand zu informieren: Neben Dissertationen und Forschungsberichten in ungekürzter Fassung findet man dort die Arbeitsprogramme der Labore, wird man über die personelle Zusammensetzung der Forschungsteams aufgeklärt und erfährt man die elektronische Adresse ihrer Mitglieder.10

Hier zeichnet sich ein zweiter wichtiger Punkt ab. In einer vernetzten wissenschaftlichen Welt droht denen, die sich jetzt schon am Rande befinden, der völlige Ausschluß, wenn sie nicht möglichst bald eingebunden werden. Das Internet bietet dem Süden wenigstens ansatzweise die Möglichkeit, unter den gleichen Bedingungen wie der Norden auf Informationsquellen zuzugreifen. Auch wenn dies die Randstellung11 nicht schlagartig beseitigen wird, dürften die neuen Kommunikationstechnologien doch dazu beitragen, das Bild zu verändern. Es wäre vermessen, wollte man die Wirkungen vorhersagen, die der direkte Gedankenaustausch zwischen Forschern des Südens und des Nordens haben wird oder ihre gemeinsame Teilnahme an internationalen Diskussionen. Verfehlt wäre es aber auch, wollte man jeglichen Einfluß a priori leugnen.

Man darf sich allerdings keinen Illusionen hingeben. In den USA begann die Entwicklung interuniversitärer Informationsnetze Ende der siebziger Jahre und führte 1983, wenn auch noch im kleinen Maßstab, zur aktuellen Form des Internet.12 Zehn weitere Jahre dauerte es, ehe es leicht handhabbare Werkzeuge gab (insbesondere WWW und E-Mail) und ehe seine Benutzung allgemein wurde. Einige wollen uns weismachen, daß man Afrika im Schnellverfahren auf Cyberspaceniveau bringen kann, wenn man durch Einsatz von Seekabeln oder Satelliten internationale Verbindungen mit hoher Übertragungsrate bereitstellt.13 Doch diese Logik einer „Versorgung aus der Luft“, die auf globale Lösungen setzt, wird sich auch in diesem Fall nicht bewähren: Der Empfang derartiger Hilfsgüter hat noch nie langfristige Entwicklungen in Gang gesetzt.

Den afrikanischen Universitäten fällt es schon schwer genug, ihre laufenden Telefonrechnungen zu begleichen. Sie haben also gar nicht die Mittel, um sich internationale Datenübertragungsleitungen zu leisten. Die gemeinsame Finanzierung solcher Verbindungen, wie diverse Organisationen sie vorgeschlagen haben oder bereits praktizieren, bringt die Entwicklung nur voran, wenn sie Teil eines umfassenderen Konzepts ist. Denn das via Internet angestrebte Ziel darf sich nicht auf die Eröffnung von „Multimedia-Kiosken“ beschränken, d. h. heißt von Online-Informationsdiensten, deren Benutzer in die Rolle bloßer Konsumenten gedrängt werden. Die auf nationaler und regionaler Ebene vorgeschlagenen Lösungen leiden derzeit noch unter derselben Perspektivlosigkeit. Es ist also höchste Zeit, sich zu fragen, wem die backbones14 und andere Infoports nützen sollen, wenn die wissenschaftlichen Einrichtungen vor Ort weder über die Kompetenz noch über die Geräte verfügen, um sich an diese Hauptachsen des Datenverkehrs anzuschließen.

Tatsächlich machen die lokalen Verzweigungen die Basis jeder Vernetzung aus. In den USA und in Europa entwickelten sich die Informationsnetze der Forschung vor allem durch den Zusammenschluß von Universitätsnetzen, deren Benutzer gleichzeitig Konsumenten und Produzenten von Information waren. Wie der Norden werden auch die Länder des Südens zunächst lokale Netzwerke aufbauen müssen, um sich so die nötige Kompetenz im Umgang mit Netzen anzueignen. Denn weit wichtiger als der Zugang zur Information ist die Produktion der Daten und die Beherrschung der Inhalte. Warum den Informationsfluß beschleunigen, wenn das Gros der afrikanischen Forschungsergebnisse weiterhin in Europa und in den USA publiziert wird, ob es sich um wissenschaftliche Aufsätze handelt oder um vor Ort gewonnene Untersuchungsdaten? Damit sich die afrikanische scientific community behaupten und eigenständig ihre Ziele festlegen kann, muß sie selbst über die Inhalte bestimmen dürfen. Die Internettechnologien können dazu beitragen, weil sie bei minimalem Investitionsaufwand große Verbreitungskapazitäten bieten.15 Und ihr Einfluß wird um so fruchtbarer sein, wenn dieser Kampf um die Beherrschung der Inhalte abseits von der als Ware gehandelten Information geführt wird, also außerhalb der Reichweite der großen wissenschaftlichen Multimedia-Verlage.

Die Einrichtung von Verbundnetzen erfordert jedoch einen wirklichen Technologietransfer, d. h. eine dauerhafte Förderung, die nie so spektakulär sein wird wie eine Vorführung von interaktivem Multimedia in Dakar oder Cotonou. Keinesfalls ist es mit dem Verkauf „schlüsselfertiger“ Lösungen getan, sondern es bedarf einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd sowie von Organisationen des Südens untereinander.16 Doch wie soll man die für Zusammenarbeit zuständigen Stellen davon überzeugen, daß das Internet nur dann eine Chance für den Süden ist, wenn es gelingt, in diesen Ländern ein technologisch-wissenschaftliches Potential aufzubauen, das einen sinnvollen Umgang damit erlaubt? Und wie soll man die Empfänger davon überzeugen, daß die leistungsfähigsten Anlagen ihrem Land nur nützen, wenn das wissenschaftliche Umfeld stimmt?

Da die internationale Hilfe zur Zeit überall gekürzt wird, setzt man freilich eher auf kurzfristige Initiativen, die medienwirksamer und kostengünstiger sind. Gleichzeitig treibt der scharfe Wind des Liberalismus, der vor allem von den Höhen der Weltbank herabweht, die Staaten dazu, auf ihr Monopol im Telekommunikationsbereich zu verzichten und die nationalen Einrichtungen zu privatisieren. Private Gelder sollen nach und nach die Subventionen und die internationale Hilfe ersetzen. Das Internet, dessen Entwicklung im Norden mit öffentlichen Geldern gefördert wurde – vor allem in den USA, wo die National Science Foundation für die großräumige Infrastruktur sorgte –, soll in den ärmsten Ländern paradoxerweise privat finanziert werden. So jedenfalls scheint es das Programm InfoDev der Weltbank vorzusehen, wenn es davon spricht, „daß man den Entwicklungsländern helfen muß, den Informationssektor völlig in die Wirtschaft einzubinden“.

In mehreren afrikanischen Ländern versuchen kommerzielle Betreiber mit Hilfe internationaler Gruppen (wie British Telecom in Ghana oder CompuServe in Gambia), relativ preiswerte und zuverlässige Dienste einzurichten, deren erste Nutznießer – und Kunden – die multinationalen Konzerne sind. Sicher wird sich dieses Angebot neuer internationaler Telekommunikationsdienste günstig auf den Warenaustausch zwischen Nord und Süd auswirken, auch wenn sich an der Handelsbilanz letztlich nicht viel ändern dürfte. Es steht allerdings zu befürchten, daß nur die zahlungskräftigen Kunden von den neuen Technologien profitieren, und das sind, gerade in den wirtschaftlich schwächsten Ländern, oft ausländische Firmen. Wenn man dieser Entwicklung nicht entschieden Gegensteuer gibt – etwa indem man nichtkommerzielle Projekte unterstützt, vor allem im Bildungsbereich –, dann dürfte sich der so gefürchtete Graben „zwischen den Mitgliedern und den Ausgeschlossenen der Informationsgesellschaft“17 aller Wahrscheinlichkeit nach vertiefen.

Beispiele Peru und Sambia

EIN dritter Weg, weder staatlich noch privat, wurde erfolgreich von den Peruanern eingeschlagen. Um die nötige Infrastruktur für das Internet zu schaffen, wurde 1991 auf Anregung von Professor José Soriano die Vereinigung Red Cientifica Peruana18 ins Leben gerufen, zu der Universitäten, regierungsunabhängige Organisationen, öffentliche und private Forschungsstätten sowie Krankenhäuser gehören. Jede Einrichtung trug mit ihren bescheidenen Mitteln dazu bei, ein gemeinsames Ausbildungs- und Rechenzentrum zu gründen.

Bei den Entscheidungsträgern mußte viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, ehe sie die angebotenen Dienste – im wesentlichen E-Mail und elektronische Konferenzen – „probierten“ und sich nach und nach dem Projekt anschlossen. 1993 standen endlich genug Mittel bereit, um eine ständige Satellitenverbindung einzurichten (mit 64 Kilobit pro Sekunde); 1995 wurde die Übertragungsrate verachtfacht, und immer noch weitet das Netz sich aus. Mittlerweile umfaßt es 263 Institutionen. Dieses Projekt, das praktisch ohne internationale Hilfe und ohne nationale Subventionen auskam, ist ein großartiger Erfolg in einem Land, dessen Kommunikations-Infrastruktur überaus rückständig ist (im Durchschnitt drei Telefone auf hundert Einwohner).

Erfolgreich war man auch in Sambia, wo auf tausend Einwohner gerade neun Telefone kommen. 1990 wurde auf Betreiben des Lehrers Mark Benett mit ein paar PCs der Anfang gemacht. Über eine kümmerliche Modemverbindung kommunizierte man mit der Rhodes-Universität in Pretoria und über diesen Knotenpunkt mit dem Weltnetz. Ende 1994 wurde die Modemverbindung mit Südafrika durch eine Standleitung ersetzt, die für einen sicheren Zugang zu allen Internetdiensten sorgt.

Solche Möglichkeiten bestehen in fast allen afrikanischen Ländern. In Dakar fanden auf Anregung der Technischen Fachhochschule (ENSP), der Universität und der Orstom mehrere Treffen statt, um die entsprechenden Vorhaben zu koordinieren. Die Polytechnische Hochschule von Yaoundé – die sich durch diverse Projekte im High-Tech-Bereich hervorgetan hat – versucht frankophone Initiativen (RIO) und anglophone (Healthnet, Greennet) zu verbinden. 1994 haben sich einundfünfzig afrikanische Forscher und Hochschullehrer aus sechzehn Ländern dafür ausgesprochen, „in ihren Fächern eine theoretische und praktische Ausbildung an den neuen Kommunikationswerkzeugen auf den Lehrplan zu setzen“19, um so die Entwicklung des Internet zu fördern.

Nachdem es lange Zeit ohne kommerzielle Absichten an Universitäten genutzt wurde, ist aus dem Internet ein vielversprechender Markt geworden. Trotz des niedrigen Volkseinkommens sind auch die Entwicklungsländer potentielle Kunden der multinationalen Computer- und Telekommunikationsfirmen. Die Länder, die sich am spätesten oder langsamsten ans Weltnetz anschließen, wird man daher zweifellos bedrängen, sich mit den modernsten und teuersten Systemen auszurüsten. Wenn man aber ausschließlich auf den Import ausländischer Technologie setzt, ist die Gefahr groß, daß sich – ganz im Gegensatz zum Norden – das kommerzielle Internet vor dem „akademischen“ Netz entwickelt. Die Universitäten werden nicht die Zeit haben, Forscher und Ingenieure auszubilden, die kompetent mit dem Netz umgehen können. Oft werden sie Schwierigkeiten haben, einen bestimmten Dienst in Anspruch zu nehmen, einfach weil er zu teuer ist. Unter diesen Bedingungen steht zu befürchten, daß auch die Resultate ganz anders ausfallen als im Norden. Statt Wissenschaft und Technik neuen Auftrieb zu geben, würde das Internet die Abhängigkeit von den technologisch führenden Ländern noch vergrößern.

Die Erfahrungen in Peru und Sambia zeigen, daß es auch einen anderen Weg gibt. Er mag einem langsamer und dornenreicher vorkommen, aber nur, weil es der beschwerliche Weg echten Wirtschaftswachstums ist. Und so ungern die Verkäufer von Luftschlössern es hören mögen, so führt doch nur er sicher und letztlich sogar am schnellsten zum Ziel. Die internationalen Organisationen haben die Möglichkeit, die Waage zugunsten dieses Modells ausschlagen zu lassen. Sie haben also auch die Pflicht, es zu tun.

dt. Andreas Knop

1 Im Rahmen des Salon Imagina veranstaltet Le Monde diplomatique am 22. Februar in Monte Carlo ein Treffen zum Thema Internet und die Nord-Süd- Beziehungen. Überdies hat unsere Zeitung eine Diskussionsgruppe ins Leben gerufen, die sich diesen Fragen widmet. Vgl. Carlos-Alberto Afonso, „Au service de la société civile“, und Roberto Bissio, „Cyberespace et démocratie“, Le Monde diplomatique, Juli 1994.

2 Adresse: http://www.isoc.org

3 In den ersten sechs Monaten des Jahres 1995 stieg die Zahl der „Internetgebiete“ in Afrika um 53% (in Südafrika allein bloß um 35%), in Asien um 51% (in China und Indien um jeweils 44%), dagegen „nur“ um 40% in Europa und um 35% in den USA.

4 Sehr leistungsstarke Personalcomputer.

5 http://www.rcp.net.pr (Peru); http://www.ecnet. ec (Ecuador); gopher://gopher.uni.rain.ni:70/1 (Nicaragua); http://www.crnet.cr (Costa Rica).

6 http://www.rnp.br (Rede Nacional de Pesquisa).

7 http://sgn.ssu.runet.ru/sgn.html

8 http://www.ntt.jp/SQUARE/www-in-JP-j.html

9 Seit einem Jahr engagiert sich auch die Vereinigung der ganz oder teilweise französischsprachigen Universitäten (AUPELF) im Internet und hat in ihren Dokumentationszentren (SYFED-Zentren) Zugangspunkte zum Netz eingerichtet.

10 Zu nennen sind hier vor allem die Ecole normale supérieure (http://www.ens.fr) und das Institut national de recherche en informatique et automatique (http: //www.inria.fr/activites-fra.html).

11 So beträgt etwa der Anteil Afrikas an der Weltproduktion im Bereich Wissenschaft weniger als 0,3%. Vgl. Chatelin und Waast, „L'Afrique scientifique des années 80“, Paris (Orstom-Edition) 1996.

12 Vgl. hierzu Christian Huitéma, „Et Dieu créa l'Internet“, Paris (Edition Eyrolles) 1995.

13 Man denke an Projekte wie Iridium, Globalstar usw.

14 Ein backbone, wörtlich „Rückgrat“, ist eine Hauptader des Internet-Datentransfers, an die sich viele lokale Netzwerke anschließen können. 1995 kam man mehrmals in Washington zusammen, um über die Möglichkeit eines „African backbone“ zu diskutieren...

15 Ein 486er Personalcomputer reicht aus, um einen „WEB“-Multimediaserver zu betreiben und Hunderte von Mailboxen zu verwalten.

16 Einrichtungen des Südens wie Irsit in Tunesien oder die Vereinigung Red Cientifica Peruana haben Erfahrungen gesammelt, die es verdienten, in Afrika besser bekannt zu sein.

17 Als Jean-François Richard, Vizepräsident für die Finanzen und die Entwicklung des privaten Sektors und als solcher zuständig für das Programm InfoDev, im Juli 1995 vor Direktoren der Weltbank und Führungskräften multinationaler Konzerne sprach, beendete er seine Rede mit dem Hinweis auf „die Gefahr, daß gewisse Länder und Gruppen, die zu den schwächsten und ärmsten gehören, ausgeschlossen werden“.

18 http://www.rcp.net.pe

19 Erklärung von Ouagadougou, unterzeichnet im August 1994, als dort das Afrikanische Forschungskolloquium zur Informatik (CARI) stattfand, das mit Unterstützung des Inria, der Orstom (beide Frankreich), der Universität der Vereinten Nationen (UNU) und des französischen Ministeriums für Zusammenarbeit veranstaltet wurde.

* Pascal Renaud ist Forscher am Französischen Forschungsinstitut für Zusammenarbeit und Entwicklung (Orstom), das dem UNO-Forschungs- und Ausbildungsinstitut (Unitar) angegliedert ist.

Asdrad Torrès lehrt Informations- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Rennes II.

Le Monde diplomatique vom 16.02.1996, von P. Renaud und A. Torres