13.12.1996

Von Ruanda bis Zaire: Schockwelle eines Völkermords

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Von Ruanda bis Zaire: Schockwelle eines Völkermords

DIE „rein humanitäre“ Mission der multinationalen Truppe, die die Vereinten Nationen Mitte November per Resolution genehmigte, entwickelt sich zunehmend zu einem verwirrenden Unterfangen. Die massive Rückkehr der Hutu-Flüchtlinge aus Zaire nach Ruanda hat die politische Situation in der Region grundlegend verändert. Das Regime in Kigali, das aus dieser letzten Krise als eindeutiger Sieger hervorgegangen ist, kann für die Wiederansiedlung der Heimkehrer internationale Hilfe in Anspruch nehmen. Die Verantwortlichen des Völkermords in Ruanda, die man aus der Bevölkerung herausgefiltert hat, können vor den internationalen Gerichtshof gestellt werden. Um Präsident Mobutus Macht ist es schlecht bestellt: Falls die Rebellion auf die Provinzen Shaba und Kasai übergreift, würde der bereits fortgeschrittene Zerfallsprozeß des Landes erheblich beschleunigt.

Von unserer Korrespondentin COLETTE BRAECKMAN *

Die massive Rückkehr der Hutu- Flüchtlinge nach Ruanda hat die Pläne der internationalen Gemeinschaft durcheinandergebracht. Man hatte ursprünglich vorgehabt, den Flüchtlingen im riesigen Zaire zu helfen, und wollte möglicherweise dabei indirekt auch dem in Mißkredit geratenen Regime von Marschall Mobutu zu Hilfe kommen. Der Strom der siebenhunderttausend Menschen, die unverzagt und entschlossen zurück in ihr Land aufbrachen und vor Ort von den Behörden gut aufgenommen wurden, verdeutlicht einmal mehr die krassen Fehleinschätzungen sowohl der humanitären Organisationen als auch der Politiker. Offensichtlich hatten die Interhahamwe-Milizen („die zusammen töten“) und die politisch-bürokratische Führungsclique, die auch für den Völkermord 1994 in Ruanda verantwortlich war, die Flüchtlinge tatsächlich als Geiseln genommen.

Kaum hatte sich die Nachricht von der militärischen Niederlage ihrer Geiselnehmer bestätigt, entschieden sich die Hutu zur gemeinsamen Rückkehr, was zeigt, daß sie, wenn man ihnen tatsächlich die Wahl ließ, zurück wollten. Die Art, wie sie aufgenommen wurden, beweist überdies, daß Kigali, entgegen der im Ausland so oft geäußerten Zweifel, tatsächlich wünschte, daß die Flüchtlinge wiederkommen. Die Art und Weise dieser massenhaften, geordneten Rückkehr hat die Verantwortlichen der Hilfsorganisationen überrascht. Dabei hätten sie schon bei der Massenflucht aus Ruanda ebenso wie in Burundi, als 40000 Flüchtlinge die Lager verließen, feststellen können, daß die Bauern aus dieser Region sich immer in Gruppen bewegen und ihre Entscheidungen kollektiv treffen. Die Berichte von Flüchtlingen beschreiben zudem die Naivität – wenn nicht sogar Blindheit – all derer, die zwar zwei Jahre lang beteuert hatten, helfen zu wollen, die jedoch in Wirklichkeit den Geiselnehmern in die Hände arbeiteten.

Ein Bericht der Vereinten Nationen über den Waffenhandel in der Region der Großen Seen bestätigt diese Berichte: Indirekt trug die humanitäre Hilfe in Höhe von 1 Million Dollar pro Tag, die von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt wurde, dazu bei, die Herrschaft der Extremisten über die Zivilbevölkerung abzusichern. Zudem ermöglichte sie die Wiederbewaffnung der Militärs und der Milizen, die von einer neuerlichen Offensive träumten. Tatsächlich war die Macht der alten Führungskader aus Ruanda in den Lagern völlig erhalten geblieben: Ihnen oblag die Verteilung der humanitären Hilfsgüter, was ihnen ermöglichte, nebenbei eine Kriegssteuer einzukassieren; sie betrieben darüber hinaus intensive Propaganda, hetzten gegen die politischen Bemühungen in Kigali und bedrohten all jene mit dem Tod, die offen Rückkehrabsichten äußerten.

Statt zu versuchen, die Macht der völkermordenden Maschinerie über die Zivilbevölkerung einzudämmen, übte die internationale Gemeinschaft zwei Jahre lang Druck auf die neue Regierung in Kigali aus, um politische Verhandlungen mit Vertretern des alten Regimes in Gang zu bringen, die man als Sprecher der Flüchtlinge ansah. Derlei politische Verhandlungen aber waren für die neue Regierung in Ruanda, die sich aus entkommenen beziehungsweise aus der Diaspora zurückgekehrten Tutsi sowie aus antiextremistisch eingestellten Hutu zusammensetzte, völlig undenkbar, und auch gemäßigte Hutu erklärten, daß die von Paris oder Brüssel unterstützten Exilpolitiker keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung repräsentierten.

Die spektakuläre und massive Rückkehr der Hutu-Flüchtlinge aus Zaire markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Krise, die seit zwei Jahren schon die Region der Großen Seen erschüttert. Die Auflösung der Flüchtlingslager, die Ausschaltung der extremistischen Bewegungen, die die Camps als „humanitäre Rückzugsbasen“ benutzt hatten, und die Tatsache, daß die internationalen Kräfte schon überflüssig wurden, bevor sie überhaupt vor Ort ankommen, werden die künftige Entwicklung in den drei Ländern Zaire, Ruanda und Burundi nachhaltig beeinflussen.

Im Juli 1994 hatte der militärische Sieg der Patriotischen Front Ruandas dem Völkermord ein Ende gesetzt, der zwischen fünfhunderttausend und einer Million Menschen in Ruanda das Leben gekostet hatte. Seither hatte das Problem der Hutu- Flüchtlinge, deren Anführer Rassenhaß und Vergeltung predigten, sie manipulierten und indoktrinierten, die Region der Großen Seen destabilisiert. So hat die Tragödie in Ruanda zudem die politische Entwicklung in Burundi beeinflußt und die ständige Verschlechterung der Lage in Zaire erheblich beschleunigt.

Auch in Tansania und in Burundi entstanden riesige Lager für ruandische Flüchtlinge, doch die härtesten Vertreter der ehemaligen ruandischen Diktatur kamen unter dem Schutz der französischen Operation „Turquoise“ in Zaire unter. Sechzigtausend für den Genozid verantwortliche Milizionäre mischten sich unter die Menge der Flüchtenden und zogen sich so, wohlgeordnet, auf die andere Seite der zairischen Grenze zurück. Ihre Anwesenheit führte schnell zu einer Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen in Zaire sowie der ethnischen Spannungen in der Provinz Kivu, einer Hochburg der zairischen Opposition, wo die Bevölkerung mit den gleichen Problemen kämpft wie in Ruanda: mit einer Bevölkerungsexplosion und einem labilen Ökosystem.

Während die Regierung des zairischen Premierministers Kengo wa Dondo sowie das Übergangsparlament mit Unterstützung der Bevölkerung die Rückführung der Flüchtlinge forderten, zog Präsident Mobutu aus deren Anwesenheit politische Vorteile, die auf der Hand lagen: Die Duldung der Operation „Turquoise“ hatte ihm erneut das Tor zu Frankreich geöffnet, die Präsenz der Flüchtlinge rehabilitierte ihn auf internationaler Ebene, und er selbst galt gar als unersetzliche Figur zur Beilegung des Konflikts. Mehrfach wurden Rückführungsoperationen dank der Gastfreundschaft Mobutus abgebrochen.

Ethnische Säuberungen made in Zaire

WÄHREND Mobutus Vertraute so in den Genuß des humanitären Mannas gelangten (durch Weiterverkauf der Nahrungsmittel und Organisation des Waffenhandels), zahlte die einheimische Bevölkerung einen hohen Preis. Der Schwelbrand der ethnischen Leidenschaften hat die Provinz Kivu, die einstmals als Bastion der Opposition galt, nachhaltiger zerstört als die enormen ökologischen Schäden in dieser Gegend. Seit sich Anfang der neunziger Jahre in Zaire ein Demokratisierungsprozeß und die Perspektive allgemeiner Wahlen abzeichneten, ist das politische Leben in Kivu durch den Nationalitätenkonflikt vergiftet. Von ihm sind all jene Teile der Bevölkerung ruandischer Herkunft, Hutu wie Tutsi gleichermaßen, betroffen, die sich in Zaire angesiedelt hatten oder in aufeinanderfolgenden Wellen ins Land gekommen waren und unterschiedslos als banyarwandus bezeichnet wurden.

Nachdem sich 1993 die Lage nach ersten Spannungen gerade wieder beruhigt hatte, brach die Flut der Hutu-Flüchtlinge über die Region herein. Ihre Anwesenheit wirkte wie der Funke im Pulverfaß. Diese Neuankömmlinge nämlich waren von dem Wunsch beseelt, sich auf Dauer in Zaire niederzulassen und auf eigenem Ackerland ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie verbündeten sich mit den dort bereits lebenden Hutu und begannen, die zairischen Tutsi zu verjagen.

So begannen zu Beginn des Jahres, begleitet von allgemeiner Gleichgültigkeit, lokale Milizen, die sich mit den Hutu- Milizen in den Lagern verbündet hatten und von der Armee geschützt wurden, die Tutsi-Hirten, deren Herden zu den Reichtümern des Landes zählten, aus der Region Masisi zu vertreiben. Mehr als vierzigtausend Tutsi fielen dieser ethnischen Säuberung zairischer Machart zum Opfer. Sie alle mußten ins Exil nach Ruanda gehen, waren jedoch fest entschlossen, bei der erstbesten Gelegenheit in ihr Land zurückzukehren.

Im September 1996 wiederholten sich diese Ereignisse, diesmal im Süden von Kivu: Die zairische Armee verbündete sich mit lokalen Milizen, deren Führer Mobutu unterstützten, und versuchte, die zu den Tutsi gehörigen Banyamulenge- Hirten zum Verlassen ihrer Gebiete zu zwingen. Hier stieß die Operation jedoch auf stärkeren Widerstand als in Masisi. Die Tutsi der Banyamulenge sind vor zwei Jahrhunderten nach Zaire gekommen, leben in einer homogenen Region und haben ihre kriegerischen Traditionen nicht vergessen. Zahlreiche junge Männer haben sich den Untergrundbewegungen im Süden von Kivu angeschlossen. Insbesondere Anfang der neunziger Jahre sind Scharen junger Banyamulenge der Patriotischen Front Ruandas beigetreten und haben am Krieg in Ruanda teilgenommen. Als die „ethnische Säuberung“ der Hutu zu einer Bedrohung für ihre Familien wurde, beschlossen diese im Umgang mit Waffen geübten Jugendlichen, sich zu verteidigen. Ihre Mobilisierung wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Kigali gefördert. Hier nämlich lebten Tutsi, die den Genozid als Augenzeugen überlebt hatten. Sie sahen sich inzwischen mehr und mehr von den Überfallkommandos aus den Flüchtlingslagern bedroht, die aus ihrer Entschlossenheit, früher oder später erneut eine breitangelegte Offensive zu starten, keinen Hehl machten.

Während die internationale Gemeinschaft in den Flüchtlingslagern ihrem humanitären Auftrag nachging und ganze Scharen von Vermittlern und Menschenrechtsaktivisten in das Gebiet der großen Seen entsandte, entwickelte sich dort Anfang September vor aller Augen eine höchst explosive Situation.

Zum einen deuteten Informationen aus den Lagern auf eine bevorstehende Offensive in Richtung Ruanda hin, zum anderen drohten im Rahmen der ethnischen Säuberung die zairischen Tutsi ebenso aus dem Süden von Kivu vertrieben zu werden wie zuvor ihre Landsleute aus Masisi. Die Entwicklung in Burundi verschärfte zusätzlich die Spannungen: Nach der Machtübernahme durch Major Pierre Buyoya im Juli 1996 hatten die Länder in der Region mit Unterstützung der Europäer ein totales Embargo verhängt, das sich in dem kleinen, rundum eingeschlossenen Land verheerend auswirkte.

Dadurch wurde nicht nur der Volkswirtschaft, die durch drei Jahre Bürgerkrieg ohnehin bereits zerrüttet war, der Todesstoß versetzt. Das Embargo stärkte auch die verschiedenen Splittergruppen der Hutu-Guerilla, die von Zaire aus operierten. Diese Verbände griffen, oft gemeinsam mit den Interhahamwe-Milizen in Ruanda, statt rein militärischer Ziele nun auch immer häufiger die Zivilbevölkerung im Landesinneren von Burundi und die Lager der Tutsi-Binnenflüchtlinge an.

Die ständigen Angriffsdrohungen gegen Ruanda und die sich häufenden Übergriffe wurden von den Militärs mit immer grausameren Vergeltungsmaßnahmen beantwortet. Da Burundi diplomatisch isoliert war, begannen nun die Armeen beider Länder, die mehrheitlich aus Tutsi bestanden, die Banyamulenge zur Selbstverteidigung zu drängen.

In Wirklichkeit ging es nicht nur um Verteidigung. Zu den Banyamulenge-Hirten waren verschiedene zairische Oppositionsbewegungen gestoßen, die sich bereits seit den sechziger Jahren in den östlichen, traditionell rebellischen Provinzen hielten. Ihnen angeschlossen hatten sich außerdem zahlreiche ehemalige Angehörige der zairischen Streitkräfte. Sie hatten die Armee verlassen, da in Zaire nur solche Offiziere in die Befehlsränge aufsteigen, die dem gleichen Volksstamm wie Präsident Mobutu, den Ngbandi, angehören.

Die Verfolgung der Banyamulenge sowie die Bedrohungen, denen sich die Regierungen von Ruanda und Burundi ausgesetzt sahen, wurden schließlich zum Anlaß einer waghalsigen Operation: Zairische Rebellen, von Kigali aufgewiegelt, ausgebildet und wahrscheinlich auch bewaffnet, außerdem von der burundischen Armee mit Transportmitteln ausgerüstet und anderweitig unterstützt, traten auf zairischem Gebiet in Aktion. Zugute kam ihnen dabei der vollkommen zerrüttete Zustand einer schlecht ausgestatteten und besoldeten Armee, vor allem aber die Abwesenheit von Präsident Mobutu, der sich zur Behandlung eines Prostatakrebses in der Schweiz aufhielt.

Der Vormarsch der Rebellen auf die zairischen Städte Uvira und Bukavu im Süden von Kivu sowie auf Goma im Norden stieß auf keinerlei Widerstand seitens der zairischen Armee, die kampflos das Feld räumte („Warum sollen wir sterben, wo wir nicht einmal bezahlt werden?“, so lautete der häufig zu hörende Kommentar der Soldaten). Echten Widerstand leisteten dagegen die Hutu-Milizen aus Burundi und Ruanda, die in der Ebene von Rusizi von den Banyamulenge-Kämpfern und der burundischen Armee in die Zange genommen wurden.

Widerstand leisteten außerdem die ruandischen Interhahamwe-Milizen und die ehemaligen Angehörigen der ruandischen Streitkräfte, bis sie von den Rebellen, mit Unterstützung der Patriotischen Armee Ruandas, aus den Lagern vertrieben wurden, wo sie die Flüchtlinge als Geiseln genommen hatten. In dieser Situation machte sich die Zivilbevölkerung, die keine humanitäre Hilfe erhielt und auch nicht länger von Bewaffneten an der Heimkehr gehindert wurde, in großer Zahl auf den Rückweg nach Ruanda.

Diese Operation (offenbar bis ins Detail geplant von dem als hervorragender Taktiker bekannten General Paul Kagame) lief mit großer Präzision ab. Innerhalb weniger Stunden machte sie den geplanten Einsatz der internationalen Streitmacht von 12000 Menschen, die die Verteilung der humanitären Hilfsgüter in Zaire hätte überwachen sollen, praktisch überflüssig. Vor allem Frankreich hatte auf ein beschleunigtes Eingreifen gedrängt. Jetzt müßten die humanitären Organisationen in Ruanda aktiv werden. Die Flüchtlinge müssen in ihren Heimatdörfern wieder angesiedelt, die Wahrung der Menschenrechte muß überwacht werden.

Ein Land löst sich auf

MIT der Auflösung der Flüchtlingslager, die entlang der Grenze immer neue Auswüchse gebildet hatten, präsentiert sich in Ruanda eine völlig neue Lage. Ein Angriff auf Kigali ist inzwischen kaum noch zu befürchten. Alle Anstrengungen müssen deshalb nun der inneren Stabilität gelten, dem Wiederaufbau eines Landes, das immer noch unter dem Trauma des Völkermordes steht und an Überbevölkerung, Mangel an Ackerland und allgemeiner Armut leidet. Es wäre zu wünschen, daß die internationale Hilfsaktion, die bisher im wesentlichen den Menschen außerhalb des Landes, in den Lagern, zugute kam, künftig allen Ruandern dort von Nutzen sein wird, wo sie leben möchten: in ihrem eigenen Land.

In Burundi dagegen mußte die Hutu- Guerilla zwar herbe Niederlagen einstecken, doch hat sie sich nicht aufgelöst, zumal die Gründe für ihren Kampf nach wie vor existieren: Sie fordert eine gerechte Aufteilung der Macht. Wie sollen aber die berechtigten Forderungen der Hutu in Einklang gebracht werden mit den Sicherheitsbedürfnissen der Tutsi, die befürchten, ebenso massakriert zu werden wie ihre Nachbarn in Ruanda, sobald sie Zugeständnisse machen? Auch die Hutu wollen Zugang zur politischen Macht, zu den Bildungsinstitutionen, zu offiziellen Ämtern, zu verantwortlichen Posten in der Armee, und sie verlangen, daß das Wahlergebnis von 1993 berücksichtigt wird. Dieser Herausforderung muß sich das Regime von Major Buyoya, das nach wie vor mit einem Embargo belegt ist, stellen.

Doch die Probleme in Ruanda und Burundi erscheinen inzwischen geringfügig im Vergleich zu den Unruhen, die sich in Zaire abzeichnen. In diesem Land steht die politische Neuordnung ganz Zentralafrikas auf dem Spiel. Zwar wurden die Aufstände in den östlichen Provinzen von Kigali und Bujumbura aus geschürt, ihre Ursache jedoch liegt im Verfall des Regimes. Trotz anderslautender Beteuerungen der Regierung von Kengo wa Dondo gibt es den zairischen Staat als solchen nicht mehr. Die Soldaten erhalten keinen Sold, Lehrer oder Beamte kein Gehalt, die Straßen werden nicht mehr instandgehalten, und die auf sich selbst gestellte Bevölkerung hat sich faktisch von der Zentralmacht unabhängig gemacht.

Nur durch eine ausländische Militärintervention könnte Kivu zurückerobert und damit verhindert werden, daß die Aufstände auf Kisangani oder die Bergbauprovinz Shaba übergreifen. Die Bodenschätze im Osten Zaires (in Kivu befinden sich Vorkommen von Methangas, Niobium, Tantalit, Mangan und Kassiterit) würden solche Einmischungen in den Konflikt zwischen den Rebellenbewegungen und der maroden Zentralmacht erklären.

Wahrscheinlicher jedoch ist, daß die internationale Gemeinschaft zu verhindern bemüht sein wird, daß das ganze riesige Land in die Hände von „Aufständischen“ fällt, die vom Westen nicht kontrolliert und auch von der demokratischen Opposition in Zaire nicht anerkannt werden. Diese kämpft immer noch für die Abhaltung freier Wahlen, mit oder ohne Mobutu, hat aber, angesichts der Herausforderung in den östlichen Provinzen, immer wieder auch fremdenfeindlichen Versuchungen nachgegeben, deren Ziel vor allem die im gesamten Land lebenden Tutsi sind.

dt. Erika Mursa

* Journalistin bei der Tageszeitung Le Soir in Brüssel, Autorin von „Terreur africaine“, Paris (Fayard) 1996.

Le Monde diplomatique vom 13.12.1996, von COLETTE BRAECKMAN