13.12.1996

Die Funktionen des Staates erweitern

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Die Funktionen des Staates erweitern

DENN während sie [die von Keynes ausgeführte Theorie] auf die lebenswichtige Bedeutung der Erstellung gewisser zentraler Leitungen in Sachen hinweist, die nun in der Hauptsache der einzelnen Initiative überlassen sind, gibt es doch weitere Gebiete der Tätigkeit, die unberührt bleiben. Der Staat wird einen leitenden Einfluß auf den Hang zum Verbrauch teilweise durch sein System der Besteuerung, teilweise durch die Festlegung des Zinsfußes und teilweise vielleicht durch andere Wege ausüben müssen. Ferner scheint es unwahrscheinlich, daß der Einfluß der Bankpolitik auf den Zinsfuß an sich genügend sein wird, um eine Optimumrate der Investition zu bestimmen. Ich denke mir daher, daß eine ziemlich umfassende Verstaatlichung der Investition sich als das einzige Mittel zur Erreichung einer Annäherung an die Vollbeschäftigung erweisen wird. (...)

[Das Ergebnis der Theorie besteht darin], die Natur der Umwelt zu bestimmen, die das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte erfordert, wenn es die vollen Möglichkeiten der Erzeugung verwirklichen soll. Die zentralen Leitungen, die für die Sicherung von Vollbeschäftigung erforderlich sind, bringen natürlich eine große Ausdehnung der überlieferten Aufgaben der Regierung mit sich. Außerdem hat die moderne klassische Theorie selbst die Aufmerksamkeit auf verschiedene Zustände gelenkt, in denen es notwendig sein mag, das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte zu zügeln oder zu leiten. Aber es wird immer noch ein weites Feld für die Ausübung der privaten Initiative und Verantwortung verbleiben. (...)

Während daher die Ausdehnung der Aufgaben der Regierung, welche die Ausgleichung des Hanges zum Verbrauch und der Veranlassung zur Investition mit sich bringt, einem Publizisten des 19. Jahrhunderts oder einem zeitgenössischen amerikanischen Finanzmann als ein schrecklicher Eingriff in die persönliche Freiheit erscheinen würde, verteidige ich sie im Gegenteil, sowohl als das einzige durchführbare Mittel, die Zerstörung der bestehenden wirtschaftlichen Formen in ihrer Gesamtheit zu vermeiden, als auch als die Bedingung für die erfolgreiche Ausübung der Initiative des Einzelnen.

aus: J. M. Keynes, „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, Berlin (Duncker & Humblot) 1994 (1936), S. 318 f.

Staatliche Abfuhr für die Lehrer

DAS Staatsbudget und das Haushaltsgesetz strotzen von unsinnigen und ungerechten Vorhaben. Es ist eine Tragödie, daß die moralischen Energien und das glühende Engagement vieler wahrhaft aufopferungsvoller und wohlmeinender Menschen in eine so vollkommen falsche Richtung wirken. (...)

Die aktuelle Politik der Regierung (...) wird relativ geringe Auswirkungen auf die Handelsbilanz haben. Sie wird in hohem Maße die Arbeitslosigkeit verschärfen und die Staatseinnahmen reduzieren. Und sie spricht den Prinzipien der Gerechtigkeit in einem Maße Hohn, das ich bislang für unvorstellbar gehalten habe.

Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Die Einkommen der wohlhabenden Leute wurden um 2,5 bis 3,5 Prozent beschnitten. Die Gehälter der Schullehrer werden um 15 Prozent gesenkt, zusätzlich zu den Sondersteuern, die sie zahlen müssen. Es ist eine wahre Monstrosität, ausgerechnet diese Klasse gezielt zu diskriminieren, nur weil sie zufällig Staatsangestellte sind. (...)

Die Lehrer sind das auffälligste Beispiel für diese Ungerechtigkeit. Aber dieselben Bedenken gelten in unterschiedlichem Grade für alle Angriffe auf den Lebensstandard der Staatsangestellten. Der Grundsatz der Diskriminierung von Personen, die im Dienst des Staates stehen und deshalb am leichtesten zu belangen sind, ist nicht richtig. Unter den gegebenen Umständen wäre es zumindest anständiger gewesen, wenn man die Phrase, daß „alle die gleichen Opfer“ bringen müßten, nicht in Anspruch genommen hätte.

Außerdem ist das Programm der Regierung so unsinnig wie falsch. Seine direkten Auswirkungen auf die Beschäftigung sind katastrophal. Man kann sicher voraussagen, daß die Arbeitslosigkeit um mehr als 10 Prozent steigen wird ...; das ist ein Triumph für die Verfechter einer extremistisch zugespitzten Lehre vom „ausgeglichenen Staatshaushalts“.

aus: J. M. Keynes, „The Economy Bill“ (1931), in „Essays in Persuasion“, Collected Works, Bd. IX, S. 145-147

Was bringt das Jahr 2030?

MEINE Schlußfolgerung lautet: Falls es zu keinen größeren Kriegen und zu keinem bedeutenden Bevölkerungswachstum kommt, könnte das ökonomische Problem gelöst werden, zumindest aber könnte es innerhalb von hundert Jahren einer Lösung ganz nahe kommen. (...) Das ökonomische Problem, der Kampf um die menschliche Subsistenz, war bis jetzt stets das wichtigste, das drängendste Problem der menschlichen Gattung (...). Wenn das ökonomische Problem gelöst ist, werden die Menschen ihrer traditionellen Zweckbestimmung beraubt sein (...). Damit wird der Mensch erstmals seit seiner Schöpfung vor sein eigentliches, sein ewiges Problem gestellt sein: vor die Frage, wie er seine Freiheit von drängenden ökonomischen Sorgen nutzen soll, wie er die Freizeit ausfüllen soll, welche wissenschaftlichen und umfassenden Interessen ihm zugute kommen sollen, damit er ein besonnenes und angenehmes und gutes Leben führen kann.

Auf viele Generationen hinaus wird der alte Adam in uns noch so stark sein, daß noch jeder um seiner persönlichen Befriedigung willen auf irgendeine Arbeit angewiesen ist. (...) Drei Stunden pro Tag oder eine 15-Stunden-Woche werden dieses Problem für einen längeren Zeitraum beilegen können. (...)

Auch in anderen Sphären müssen wir mit Veränderungen rechnen. (...) Wir werden es uns leisten können, den Mut zu haben, das Geldmotiv nach seinem wahren Wert zu beurteilen. Die Liebe zum Geld als Besitz – um es von der Liebe zum Geld als Mittel zum Genuß des Lebens und seiner Möglichkeiten zu unterscheiden – wird man als das erkennen, was es ist: als ein irgendwie abstoßendes Laster, eine jener halb kriminellen, halb pathologischen Neigungen, die man mit leichtem Schaudern an die Spezialisten für Geisteskrankheiten überweist.

aus: J. M. Keynes, „Economic possibilities for our grandchildren“ (1930), in „Essays in Persuasion“, S. 326-329.

Le Monde diplomatique vom 13.12.1996