13.05.2011

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Krise ohne Folgen

„Fast vier Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise ist das Vertrauen in die Stabilität des globalen Finanzsystems noch längst nicht wiederhergestellt“, heißt es in einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom April 2011. Die „schlimmste Finanzkrise der Welt inklusive der Weltwirtschaftskrise von 1929“ (so US-Notenbankpräsident Ben Bernanke) hatte in den USA bislang keinerlei strafrechtliche Konsequenzen. Goldman Sachs, Morgan Stanley und JP Morgan hatten auf den Zusammenbruch von Risikoanlagen spekuliert, die sie zuvor ihren Kunden nachdrücklich empfohlen hatten. Jetzt müssen sie allenfalls mit Geldbußen rechnen, häufiger jedoch dürfen sie noch Boni einstreichen.

Nach dem betrügerischen Bankrott der US-Sparkassen Ende der 1980er Jahre waren immerhin 800 Banker im Gefängnis gelandet. Inzwischen hat der Bankensektor – dank weiterer Umstrukturierungen – seine Macht derart ausgeweitet, dass ihm die durch Schuldenlast geschwächte Staatsmacht offenbar Straffreiheit gewähren muss. Die nächsten Kandidaten für das Weiße Haus, vorneweg Barack Obama, betteln bei Goldman Sachs bereits um Wahlkampfspenden. Der Chef von BNP Paribas droht den europäischen Regierungen unverblümt mit einer Kreditsperre, falls sie die Banken ernsthaft reglementieren sollten. Die Ratingagentur Standard & Poor’s, die vor der Krise Enron, Lehman Brothers, Bear Stearns und alle „Schrottanleihen“ mit der Topnote AAA bewertet hatte, lässt heute verlauten, man werde die Supermacht USA von AAA herabstufen, falls sie den Abbau ihrer Staatsschulden nicht beschleunigen sollte.

Drei Jahre nachdem die G 20 das Nachdenken über eine „neue weltweite Harmonisierung“ ausgerufen hat, ist ein System immer noch intakt, das die Deregulierung des Bankensektors betreibt und die kleinen Genies der „Finanzinnovation“ mit gigantischen Prämien belohnt, während die Kosten der von ihm ausgelösten Katastrophen vom Staat geschultert werden müssen.

Die französischen Sozialisten erregen sich zwar darüber, dass „die Regierungen im Jahr nach der Finanzmarktkrise mehr Geld ausgegeben haben, um Banken und Finanzinstitute zu unterstützen, als die ganze Welt in einem halben Jahrhundert für die Unterstützung der armen Länder“. Aber die Lösungen, die sie vorschlagen, sind entweder Flickwerk (eine Sonderabgabe von 15 Prozent für die Banken) oder fromme Wünsche (Kampf gegen Steuerparadiese, Gründung einer staatlichen Ratingagentur, Transaktionssteuer), weil ihre Umsetzung ein „gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten“ voraussetzt, was äußerst unwahrscheinlich ist.

Was anfangs aussah wie die Krise, die das Fass endgültig zum Überlaufen bringt, erweist sich nun als Krise ohne Folgen. Dieses passive Verharren zeigt für Andrew Cheng, den Chefberater der chinesischen Bankenregulierungskommission, dass die Staaten zum Gefangenen des Finanzsystem geworden sind. Anders gesagt: Die Politiker verhalten sich allzu oft wie Domestiken, die ängstlich bemüht sind, den Bankern nicht den Festschmaus zu verderben. Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 13.05.2011, von Serge Halimi