12.05.1995

Lob des Räubers

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Lob des Räubers

AM zweiten April dieses Jahres hat der deutsch-französische Fernsehsender arte einen ganzen Abend lang das Thema Finanzspekulation behandelt. Auf dem Programm stand vor allem ein Gespräch, das Anthony Sampson 1989 mit dem britischen Geschäftsmann James Goldsmith geführt hatte. Dieser hatte schon damals seine ungeschminkte Meinung zu dem Thema kundgetan.

James Goldsmith: Ich glaube an die Veränderung, und ich glaube daran, daß wir ohne Veränderung in Dekadenz enden. Es ist vielleicht ein Zufall, aber Unternehmen wie die Bank of America oder General Motors, alle multinationalen Unternehmen aus Amerika oder England, ganz zu schweigen von den französischen Unternehmen, alle diese Unternehmen sind verkalkt, sind immer weniger wettbewerbsfähig, weil sie es nicht gewagt haben, sich weiterzuentwickeln. Wenn man die Wahl hat zwischen einer brutalen Veränderung und einem ruhigen Weitermachen wie bisher, dann kommt irgendwann heraus, daß letzteres die schlechteste Lösung war. Es ist so ähnlich, wie wenn man morgens sagt, daß einem das Aufstehen zu schwer ist und man deshalb lieber im Bett bleibt. Aus dem Haus zu gehen ist schon gefährlich, aber man hat ja keine Wahl.

Anthony Sampson: Aber wenn alle Menschen einen solchen Geschäftsgeist hätten wie Sie, dann könnte man in dieser Welt doch nicht mehr leben.

James Goldsmith: Ich bin absolut nicht Ihrer Meinung. Das ist so, als wenn Sie sagen, daß das Leben in der Natur unmöglich ist, weil es Räuber gibt. Das erinnert mich an jene wohlmeinenden Menschen, die ein Reservat eingerichtet haben, um das Wild vor den Raubtieren zu schützen. Die Tiere sind langsam zugrunde gegangen und verendet, weil die Raubtiere einen notwendigen Anreiz darstellen. Das gleiche würde in der Geschäftswelt geschehen, wenn man die Räuber ausschalten würde, um bequeme Bürokratien und Monopole zu schaffen. Ohne die Räuber würde die Industrie sterben, die Unternehmen würden allmählich eingehen, mit dem ganzen Land würde es bergab gehen, und die Leute würden mehr leiden, als wenn sie dem Anreiz und der Konkurrenz ausgesetzt wären.

Le Monde diplomatique vom 12.05.1995