12.05.1995

Alle Banken sind gefährdet

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Alle Banken sind gefährdet

DIE Voraussetzungen für weitere Zusammenbrüche nach dem Beispiel der britischen Bank Barings sind gegeben. Sie zeigen dem Finanzbereich die Grenzen seiner Fähigkeit, sich gegenüber der Produktion und dem Warenverkehr zu verselbständigen, sich loszulösen und die Profite zu erzeugen. Bankiers erklären, daß nicht die Derivate an sich problematisch seien, sondern die wirtschaftlichen Bedingungen, die es „den Finanzinstituten nicht mehr erlauben, mit ihren traditionellen Aktivitäten Geld zu verdienen, so daß sie immer mehr zu Spekulationen gezwungen sind“1 – mit allen damit verbundenen Risiken.

So entsprach Barings kurz vor dem Ende immer weniger den Kriterien einer Geschäftsbank. Immer mehr hatte Barings die Rolle eines Instituts zur Zwischenfinanzierung aufgegeben, das „seine Glaubwürdigkeit nutzt, um die gerechte Entlohnung seiner Mittlerdienste zwischen Gläubigern und Kreditnehmern, Sparern und Unternehmern, Käufern und Verkäufern von realen oder virtuellen Titeln (Derivate) zu erreichen“2. Die Bank verwandelte sich in eine Einrichtung, die mehr und mehr auf eigene Rechnung handelte, dabei zumindest theoretisch ihr Eigenkapital aufs Spiel setzte und deren Einkünfte von der Inwertsetzung der eingesetzten Positionen abhingen. „Täuscht man sich über die Entwicklung des Markts, bedeutet das den Verlust von Eigenmitteln und Verluste – mit der ständigen Versuchung, seinen Einsatz noch zu erhöhen, um die Verluste wieder auszugleichen. Dieses Verhalten kommt dem von Spielern sehr nahe.“3 Die Geschäfte auf eigene Rechnung mehrten sich bei Barings, aber auch bei anderen Instituten, begünstigt von „Spekulationsblasen“ und Marktkonstellationen, bei denen der Verkauf hochspekulativer Papiere erhebliche Gewinne erlaubte. Ab 1994 wuchsen diese Geschäfte sehr schnell, zum Ausgleich schrumpfender Banktätigkeit.

Um Risiken auszuschalten, müssen die Geschäfte mit Derivaten darauf beschränkt werden, die relativ geringen Unterschiede zwischen An- und Verkaufskursen zu nutzen. Dabei müssen sie durch andere Abschlüsse in entsprechender Höhe gedeckt werden, was auch Kosten bedingt. Die Rentabilität dieses Vorgehens hängt also direkt von der Höhe der vorgenommenen Transaktionen ab. Wenn die Summe aufgrund des Allgemeinzustands der Wirtschaft sinkt, steigt der Druck, die Rolle des Mittlers auf den Finanzmärkten durch Wetten auf zukünftige Entwicklungen zu ersetzen.

Seit der Liberalisierung in den achtziger Jahren lauert diese Gefahr allen Banken auf, was das Beispiel des Crédit lyonnais zeigt.4 Die Stellung der großen Handelsbanken im Finanzsystem – und damit die Höhe ihre Gewinne – wurde doppelt in Frage gestellt: durch ihren Bedeutungsverlust bei der Finanzierung der Produktion (unter anderem weil die Großunternehmen ihre Schuldverschreibungen nun direkt auf den Markt bringen durften) und durch das Wegdriften eines Teils ihrer Einlagen hin zu institutionellen Anlageformen. Die Banken wurden in die Zange genommen und reagierten ihrerseits mit Innovationen, die mit steigenden Risiken verbunden waren. Für Michel Aglietta „kann es keinen Zweifel geben, daß die Zwänge, die den Banken auferlegt wurden, die finanzielle Rezession verstärkt haben. Die Rezession war um so schärfer, als die Anfälligkeit der Banken sich zuspitzte. Beide Momente verstärken sich wechselseitig.“5

Die Finanzsphäre lebt von dem Reichtum, der durch Investitionen und die Mobilisierung der Arbeitskraft auf den verschiedensten Ebenen geschaffen wird. Sie bringt selbst nichts hervor. Sie ist der Prototyp einer Arena für Nullsummenspiele: was jemand innerhalb des abgeschlossenen Bereichs des Systems gewinnt, verliert ein anderer. Sobald sie nicht mehr von realen Warenflüssen lebt, deren Ursprung nur im Bereich der Produktion liegen kann, steigen die Spannungen im geschlossenen Gebiet und kündigen nahe Finanzkrisen an.

F. Ch.

1 Les Echos, 15. März 1995

2 Bulletin de l'Agefi, 8. März 1995

3 Ebenda

4 Siehe dazu Christian de Brie: „Au carnaval des prédateurs“, Le Monde diplomatique, März 1995.

5 Michel Aglietta: „Macroéconomie financière“, La Découverte, Paris 1995.

Le Monde diplomatique vom 12.05.1995, von Francois Chesnais