13.09.1996

Helvetische „Zauberformel“

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Helvetische „Zauberformel“

DIE oft konstatierte Stabilität der Schweiz manifestiert sich in der Praxis der Regierungskonkordanz. Die Regierung – der Bundesrat – besteht aus sieben gleichberechtigten, von beiden Parlaments-Kammern gewählten Mitgliedern. Die Zusammensetzung des Bundesrats ist seit 1959 durch die sogenannte „Zauberformel“ geregelt: je zwei seiner Mitglieder gehören der Freisinnig-Demokratischen Partei, der Christlich-Demokratischen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei an und ein Mitglied der Schweizerischen Volkspartei. Mit diesem Verteilungsschlüssel sollte garantiert werden, daß alle wichtigen gesellschaftlichen Kräfte in der Regierung vertreten sind und insbesondere der „soziale Friede“ zwischen Kapital und Arbeit gewahrt wird.

Seit Jahrzehnten variieren die Kräfteverhältnisse im Parlament nur geringfügig. Seit den Wahlen im Herbst 1995 beträgt der Anteil der Regierungsparteien im Nationalrat bei einem Stimmenanteil von 74 Prozent (SPS: 21,8; FDP 20,2; CVP: 17,0; SVP: 14,9) rund 80 Prozent der Sitze, im Ständerat über 90 Prozent. Allerdings nimmt die Wahlbeteiligung seit fünfzig Jahren kontinuierlich ab und betrug 1995 nur noch 42,3 Prozent.

Opposition drückt sich eher in Abstimmungen denn in Wahlen aus. Das System erlaubt es auch den Regierungsparteien, in Sachfragen die Funktion der Opposition zu übernehmen. Das Konkordanzmodell ist nicht unumstritten. Wirtschaftskreise sowie konservative Kräfte in den bürgerlichen Parteien möchten die SP in die Opposition verbannen, um ihr Programm der Deregulierung bzw. „marktwirtschaftlichen Erneuerung“ ungehindert realisieren zu können. Problematisch erscheint anderen Kritikern die Regierungsbeteiligung der SVP, da diese zunehmend von rechtspopulistischen und isolationistischen Tendenzen dominiert wird.

Le Monde diplomatique vom 13.09.1996