14.07.1995

Welchen Status wird das Kaspische Meer haben?

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Welchen Status wird das Kaspische Meer haben?

JAHRELANG war der Status des Kaspischen Meers durch die Verträge von 1921 und 1940 bestimmt, die die beiden Küstenmächte, die Sowjetunion und der Iran, unterzeichnet hatten. Sie regelten vor allem die Rechte zur Durchfahrt und zum Fischfang. Nun sind an der Küste dieses Meeres vier neue Staaten aufgetaucht: Rußland, Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan. Diese Tatsache sowie die vielversprechenden Möglichkeiten, die Ölressourcen off shore zu erschließen, haben den Status quo entscheidend verändert.1

Am 5. Oktober 1994 fordert Rußland die Vereinten Nationen in einem umfangreichen Memorandum auf, sich mit diesem Problem zu befassen. Aus der Sicht Moskaus ist das Kaspische Meer ein Binnensee, auf den die Meereskonvention von 1982 nicht anwendbar ist: Rechtmäßig könne man sich also – bis eine Übereinkunft zwischen allen Parteien gefunden ist – nur auf die Verträge von 1921 und 1940 beziehen. Der Text endet mit einer Drohung: „Jede einseitige Handlung im Kaspischen Meer ist illegal und wird nicht anerkannt von Rußland, das sich das Recht zu den geeigneten Maßnahmen vorbehält, um die gesetzliche Ordnung wiederherzustellen und die Folgen des einseitigen Handelns zu beseitigen.“

Im Gegenzug hat Kasachstan Vorschläge unterbreitet, die hervorheben, daß das Kaspische Meer über die Wolga und den Wolga-Ostsee-Kanal mit dem Finnischen Meerbusen verbunden ist. Diese Wasserwege seien als internationale Wasserstraßen und das Kaspische Meer als offenes Meer anzusehen: Also könne und müsse die Meereskonvention von 1982 angewandt werden, um die den einzelnen Staaten zugeteilten Wasserwege und wirtschaftlichen Nutzungsbereiche festzulegen. Während der Iran eher die russische Position unterstützt, treten Aserbaidschan und Turkmenistan für den kasachischen Standpunkt ein.

Von diesen juristischen Auseinandersetzungen, die äußerst komplex sind und wohl jahrelange Verhandlungen erfordern, hängt es ab, welche politischen Konturen die Region annehmen und welche jeweiligen Rechte jeder der fünf Anrainerstaaten erhalten wird.

1 Henne-Jüri Uibopuu, „The Caspian Sea: A Tangle of Legal Problems“, The World Today, The Royal Institute of International Affairs, London, Nr. 6, Juni 1995.

Le Monde diplomatique vom 14.07.1995