16.06.2000

Fußball, Medien und die Börse

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Fußball, Medien und die Börse

ALS Endzustand der Kommerzialisierung des Sports gilt die Umwandlung von Vereinen in Aktiengesellschaften. Die Branche Profi-Fußball kann ihre exorbitant steigenden Kosten – vor allem für die explodierenden Spielergehälter – schon längst nicht mehr aus den Eintrittsgeldern der Zuschauer finanzieren. Ihre ursprüngliche Akkumulation vollzog sich etappenweise, indem sie sich immer neue Geldquellen erschloss. Am Anfang standen die Einnahmen aus Trikot- und Stadionwerbung, danach wurden die Fans durch Merchandising abgemolken: Beim Verkauf von Vereinsschals und andere Devotionalien liegt die Gewinnspanne der Vereine selten unter 1 000 Prozent. Inzwischen ist der Handel mit den Medienrechten zum wichtigsten Faktor der Fußballökonomie geworden – das geht einher mit dem Trend zum börsennotierten Fußballunternehmen als höchstem Stadium des Sport-Kapitalismus.

Auch in dieser Entwicklung scheint das Mutterland des Fußballs dem Rest der Welt den Weg zu weisen: Über zwanzig Vereine der beiden höchsten englischen Ligen werden an der Börse gehandelt, in Italien sind es Großvereine wie Lazio und AS Rom, in den Niederlanden Ajax Amsterdam. In Deutschland hat Borussia Dortmund die Umwandlung seiner Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft beschlossen und den Gang an die Börse angekündigt. Weiteren fünf bis sechs Vereinen bescheinigen Finanzexperten das Potential für einen Börsenauftritt.

Das Beispiel Dortmund zeigt jedoch, dass solche Pläne an der Unberechenbarkeit des Spielgerätes scheitern können. „Wichtig ist auf dem Platz“ – diese ruhrpottschlichte Einsicht setzt auch der Börsenehrgeiz von Vereinspräsidenten nicht außer Kraft. Weil Borussia in der letzten Saison – trotz 45 Millionen Mark Investitionen in sein lebendes Kapital – bis zum letzten Spieltag gegen den Abstieg kämpfte, wurden die Pläne auf Eis gelegt. Eine Warnung für die ganze Branche, befand die FAZ in ihrem Wirtschaftsteil: „eine geschlossene Mannschaft, die auf dem Platz alles gibt“, sei eben nicht zu kaufen.

Dass Fußball auch in seiner kommerziellsten Erscheinungsform noch zu unberechenbar für die Börse ist, hätte man schon am englischen Beispiel lernen können. Sieht man vom Branchenführer Manchester United ab, der sich zum reichsten Klub der Welt entwickelt hat, sind die Kurse der Vereine im Durchschnitt deutlich gefallen. Deshalb hat die Londoner Börse schon längst den Plan aufgegeben, einen Branchenindex für Fußballwerte auszuweisen. Und die institutionellen Anleger lassen die Kickeraktien links liegen, weil sie viel zu riskant sind.

Zwei Risikofaktoren machen die Fußballaktien selbst für die Börse zu volatil. Zum einen das rechtlich ungesicherte Terrain. So hat die Monopolkommission beim britischen Wirtschaftsministerium im August 1999 entschieden, dass die Replika-Trikots der Vereine auch von Supermärkten verkauft werden dürfen. Damit waren den Vereinen ihre fetten Monopol-Gewinne beschnitten. Die Folge war ein Kurssturz aller Fußballaktien. Der zweite Risikofaktor ist das Schicksal, dem Borussia Dortmund nur knapp entkommen ist. In Deutschland wie in England bedeutet der Abstieg eines Vereins, dass sein kommerzieller Wert sich schlagartig mindert, und schon die Nichtqualifikation für einen internationalen Wettbewerb lässt die Kurse purzeln.

Dagegen sind Kursgewinne meist nur eine flüchtige Erscheinung. In der Regel werden sie – wie in allen Branchen – durch Übernahmegerüchte ausgelöst. So hatte im Dezember 1998 das Angebot des Senders BSkyB, die Aktien von Manchester United aufzukaufen, den Wert des Klubs schlagartig um 40 Prozent erhöht. Dieses Beispiel verweist auf den ökonomischen Faktor, der für die Zukunft des professionellen Fußballs entscheidend sein wird: Die Interessenten, die sich in die europäischen Spitzenvereine einkaufen, stammen in neun von zehn Fällen aus der Medienbranche. Zwar hat die britische Monopol-Kommission die Übernahme von Manchester United durch den Fernsehsender des Medienmoguls Rupert Murdoch letztendlich verboten. Aber eine Minderheitsbeteiligung war damit nicht ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage sind heute die Mediengiganten – nicht nur in Großbritannien – in den Führungsgremien vieler Vereine vertreten. In den vier finanzstärksten Ligen Europas – der englischen, italienischen, spanischen und deutschen – haben sie sich (oft in der Rolle des finanziellen Retters aus selbst verschuldeter Vereinsmisere) in die Vorstände eingekauft und versuchen, sich langfristig die TV-Vermarktungsrechte zu sichern.

Dieser Trend ist mit der Entwicklung zum Pay-TV unwiderstehlich geworden. In Ländern wie Italien und Spanien, wo diese Rechte von den einzelnen Klubs vermarktet werden, können die Spitzenklubs zusätzliche jährliche Einnahmen bis zu 100 Millionen Mark erzielen. Langfristig kalkulieren sie mit den Einnahmen aus Pay-per-View-TV. Das bedeutet, dass sie ihren Fans im ganzen Lande für die Live-Übertragung ins häusliche Sesselkino ebenso viel Eintrittsgeld abverlangen können wie für einen Sitzplatz im Stadion. Weil alle Klubs in Europa inzwischen darauf setzen, dass die Zentralvermarktung der Fernsehrechte durch die nationalen Verbände oder die einzelnen Ligen juristisch gekippt wird, ist der Besitz von Klubanteilen für die Medienkonzerne eine strategische Zukunftsinvestition. Nur über einen finanziellen Einstieg in die Vereine können sie darüber mitbefinden, ob die Rechte an den Spielen der Top-Vereine (vor allem in einer künftigen Europaliga) an die Ufa oder die Kirch-Gruppe, an Berlusconi, Rupert Murdoch oder Time-Warner gehen, oder auch an eine Kombination von mehreren dieser Global Players.

Die eigentlichen Macher sind also nicht die börsenorientierten Vereinsvorstände. Die sind nur Marionetten, und sie wissen es sogar. An den Strippen ziehen die dynamischen Manager des dynamischsten Sektors der globalen Kulturindustrie. Was das alles mit Sport zu tun hat? Auf diese Frage antwortet eine Gratis-Hochglanzbroschüre, in der sich die europäische Champions League zu Beginn der Saison 1999/2000 den deutschen Fußballfans vorstellte, mit dankenswerter Offenheit: „Was das alles mit Sport zu tun hat? Gar nichts, natürlich. Genauso wenig wie Profifußball. Er liefert Jahr für Jahr die Show mit den höchsten Einschaltquoten. Ein glänzendes Geschäft mit Nebenwirkung. Für moralische Bedenkenträger sind die Räume eng geworden.“

N. K.

Le Monde diplomatique vom 16.06.2000, von N. K.