14.12.2012

edito

zurück

edito

In Gaza nichts Neues

Audio: Artikel vorlesen lassen

„Keine Regierung der Welt würde es hinnehmen, wenn ihr Land mit Raketen beschossen wird.“ Das würde auch niemand von ihr erwarten. Allerdings bezog sich diese Aussage des US-Präsidenten nicht auf den Gazastreifen, dessen Bewohner von Israel bombardiert werden – aus F-16-Kampfjets und „Apache“-Hubschraubern US-amerikanischer Produktion.

Seit Jahren werden im Nahostkonflikt die gleichen schiefen Argumente bemüht. Da ist es etwa vom „Terrorismus“ der Belagerten die Rede, der jeden „Gegenschlag“ rechtfertige. Da Israel stets „das Recht auf Selbstverteidigung“ zugestanden wird und es weder Sanktionen noch den Internationalen Gerichtshof fürchten muss, kann es sich trotz seiner gewaltigen militärischen Überlegenheit stets aufs Neue als Opfer stilisieren, bevor es zum nächsten Schlag ausholt. Dass Israel eine Demokratie sei, ist ein weiterer Topos – ungeachtet der Tatsache, dass in dieser Regierung ein rechtsextremer Rassist für die Außenpolitik verantwortlich ist.

Sollte der Arabische Frühling im Nahen Osten wirklich so wenig bewirkt haben, dass sich in Gaza das Gleiche wie vor vier Jahren wiederholen könnte, als die israelischen Luftstreitkräfte während der sogenannten Operation Gegossenes Blei drei Wochen lang den schmalen Küstenstreifen bombardiert haben? In ihrer Analyse der Entwicklungen nach 2011 haben die Nahostexperten Hussein Agha und Robert Malley kürzlich gezeigt, dass die alten Erklärungsmuster nichts mehr taugen: „Die USA arbeiten mit dem Irak zusammen, dessen Verbündeter Iran das syrische Regime unterstützt, zu dessen Sturz die USA beitragen wollen. Die USA sind auch mit Katar verbündet, das die Hamas unterstützt, und mit Saudi-Arabien, das jene Salafisten finanziert, auf die sich die Dschihadisten berufen, die Amerikaner töten, wo immer sie können.“

Bislang schienen die Verhältnisse in Gaza übersichtlicher zu sein. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf hatte Israels Ministerpräsident Netanjahu keinen Hehl daraus gemacht, dass der Republikaner Mitt Romney sein Favorit sei. Dass er auf die falsche Karte gesetzt hatte, hat Netanjahus Popularität in Israel geschadet. Und so wollte er wohl vor den Parlamentswahlen im Januar diese Scharte wieder auswetzen – auf dem Rücken der Palästinenser. Als Netanjahu sich damit rechtfertigte, dass die Hamas die Raketenangriffe aus Gaza nicht verhindert habe, schien ihm offensichtlich entfallen zu sein, dass die ersten Raketen aus Gaza bereits vor über zehn Jahren abgefeuert worden waren – und da stand das Gebiet noch unter israelischer Besatzung.

Europa hat sich wie ein diplomatischer Außenposten Israels verhalten. So fühlte sich etwa Frankreichs Präsident Hollande im Beisein Netanjahus bemüßigt, die palästinensische Autonomiebehörde zu ermahnen, nicht „von der UN-Vollversammlung Ergebnisse zu erwarten, die sie durch Verhandlungen nicht erzielt hat“. Welche Verhandlungen mag er wohl gemeint haben? „Während des gesamten Wochenendes wurden Raketen auf Israel abgefeuert, daher hat Israel geantwortet“, setzte Außenminister Fabius ein paar Tage später nach. Müssen die französischen Diplomaten jetzt schon bei den Amerikanern abschreiben?

Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 14.12.2012, von Serge Halimi